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Kalt und steil

VAUDE Team Alpine-Mitglied Fritz Miller berichtet von einer Winterbegehung der Westlichen Zinne Nordwand

Winterbegehungen haben es mir angetan – nicht erst, seit ich Bergführer bin und im Sommer nur noch wenig Zeit fürs Klettern habe. Warum? Das Bergsteigen und Klettern im Winter ist einfach eine richtig coole Sache…

Direttissima im Winter

Zusammen mit Lukas Binder wagte ich mich schon in jungen Jahren im Winter an die Drei Zinnen. Lukas war 20, ich 22, und wir fühlten uns im steilen Gemäuer einigermaßen wohl – gute Voraussetzungen für die Superdirettissima der Großen Zinne Nordwand, die wir souverän meisterten. Zwei Jahre später kehrten wir in der Schweizerführe, der klassischen Direttissima der Westlichen Zinne Nordwand, im eisigen Wind um.

Ein neuer Shot

Das Interesse an dieser Wand war dadurch keinesfalls gebrochen. Bis zu einem neuerlichen Anlauf sollte es nur etwas dauern. In der Zwischenzeit kam es in der Schweizerführe zu einem größeren Ausbruch, der die Schwierigkeit der Route wahrscheinlich deutlich erhöhte. Die „Cassin“ erschien also realistischer, und ich konnte Florian Jehle und Korbinian Schmidtner für einen Versuch gewinnen. Korbi und Flo waren wie ich von 2007 bis 2009 Mitglieder des DAV Expeditionskaders und haben sich als Kletterpartner für große Wände bewährt.

Bedingungen: mittelmäßig

Geschneit hatte es in den Dolomiten länger nicht mehr (ergiebig), allzu kalt war es auch nicht. Nur der Nordföhn sorgte zu Beginn des Jahres für schlechte Tourenbedingungen. Für den 8. Januar wurde endlich schwächerer Wind vorhergesagt, der 9. sollte noch etwas besser sein und als Klettertag in Frage kommen. Also stiegen wir am 8. Januar zum Winterraum des Rifugio Auronzo auf, wo wir Teile unserer Ausrüstung deponierten. Mit leichtem Gepäck und ohne Skiausrüstung gingen wir weiter zum Einstieg der Cassin-Führe, um eine Spur durch den teils tiefen Schnee zu legen. Unser Weg führte zunächst südseitig zur Scharte zwischen der Westlichen und Großen Zinne, dann nordseitig steil hinab und zuletzt knapp unter der Wand querend zum Einstieg – eine Zustiegsvariante, die uns mit Blick auf die nicht ganz unkritische Lawinenlage günstig erschien.

In die Nacht hinaus

Um 4:00 klingelte am nächsten Morgen der Wecker, um 5:15 verließen wir den kahlen Winterraum und folgten unserer Trittspur auf die Nordseite. Der Wind hatte tatsächlich nachgelassen und wir beschlossen, es zu probieren. Noch bei Nacht kletterten wir die ersten beiden Längen. Bald darauf wechselten wir das Schuhwerk – Stiefel aus, Kletterschuhe an – und stiegen durch die Schlüsselseillänge und den langen, beeindruckend exponierten Cassin-Quergang. Nach drei weiteren Seillängen lag der untere, steile Teil der Wand auch schon hinter uns – und der erste heikle Übergang vom Fels in lockeren Schnee. Hier in Wandmitte begannen für uns die eigentlichen Schwierigkeiten: 4er und 5er-Gelände, verschneit und schlecht absicherbar…

Endlich oben

Das Ringband, das markante Band ca. 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels, erreichten wir mit dem letzten Licht des Tages. Trotz mehreren gleichermaßen unangenehmen wie gefährlichen Passagen in den zurückliegenden Seillängen waren wir guter Dinge. Den Rest, ein paar Seillängen im 3.  Schwierigkeitsgrad, konnten wir in aller Ruhe angehen. Nach 12 Std. und 40 Min. Kletterei waren wir endlich oben. Einen Riegel hatte ich während dieser Zeit gegessen und einen halben Liter Tee getrunken. Es war Zeit für einen kleinen Imbiss…

Das große Labyrinth

Die Leuchtkraft unserer Stirnlampen war nicht mehr allzu gut, unsere Erinnerung an den Abstieg noch viel schlechter.  Es kam, was kommen musste: Wir konnten den Normalweg nicht finden und seilten schließlich irgendwie von der Westlichen Zinne ab. Zumindest die grobe Richtung stimmte aber. Am Ende kamen wir dann doch noch in die Spur und erreichten die Scharte zwischen Westlicher und Großer Zinne. Der Rest war Formsache. Um 1 Uhr nachts liefen wir wohlbehalten in unserem Quartier ein.

Fazit

Komplette Winter-Durchstiege der Westlichen Zinne Nordwand sind selten. Wir wissen jetzt, warum: Man muss echt was bringen – vor allem im oberen Wandteil, aus dem ein Rückzug sehr langwierig wäre. Für uns war’s jedenfalls eine große und spannende Felsfahrt!

Routeninfos „Cassin-Führe“

Gipfelhöhe: 2973 m
Wandhöhe: 450 m
Routenlänge: ca. 630 m (gut 20 SL)
Schwierigkeit: ca. 6 A1 oder bei komplett freiem Durchstieg 8-
Erstbegehung: 1935 durch Riccardo Cassin und Vittorio Ratti

Text: Fritz Miller

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