Wo sich die Kräfte bündeln – Skitouren rund um die Engstlenalp

Kenner sagen, selbst im Berner Oberland gibt es nur noch wenige unverbaute, authentische Orte. Die Engstlenalp ist so einer. Eine Handvoll stiller Gipfelziele umsäumt sie. Touristiker würden das gerne ändern, wäre da nicht ein Hotelier, der das Kulturerbe so erhalten möchte, wie es ist: ein Ort der Kraft.

Auf dem Hochplateau von Melchsee-Frutt.

 

Wie ein strahlendes Gesicht taucht der Vollmond auf. Noch ist es hell, glühen die steilen Schneeflanken der Wendenstöcke im rosa Licht der letzten Sonnenstrahlen. Auf dem zugefrorenen See harrt noch ein einsamer Eisfischer aus, lässt sich von der Magie verzaubern, die ihn immer wieder an den Engstlensee lockt. Im Hintergrund stehen windschiefe Arven und ein gewaltiger Findling. An ihm wurde soviel Energie gemessen wie an den Pyramiden von Gizeh. Ein Kraftort, oder wie es der britische Physiker und Alpinist John Tyndall im Sommer 1866 ausdrückte: „Einer der entzückendsten Orte der Alpen“.

Oberhalb des Engstlensees geht es hinauf zum Graustock, Fikenloch oder Rotsandnollen.

 

Dass dieser Ort unverschandelt bleibt, dafür kämpft Fritz Immer, der mit seiner Familie in vierter Generation das historische Hotel Engstlenalp führt. Seit bald zwei Jahrzehnten stemmen sie sich gegen den geplanten Zusammenschluss der Skigebiete Titlis, Melchsee-Frutt und Hasliberg. „Unverbaute Oasen sind eine Rarität geworden“, sagt Immer. „Meine Gäste kommen wegen der stillen Natur.“ Sein Blick wandert Richtung Westen, dorthin, wo die Eisgipfel des Berner Oberlandes Parade stehen. Am markantesten sticht das Wetterhorn hervor. „Unbeschreiblichen Adel“ strahle es aus, stellte der Brite Tyndall fest.

Die Tannalp liegt im Winterschlaf.

 

Im Winter bleibt die Straße durch das Gental gesperrt. Ein langgezogenes Tal, das von Milital im Gadmertal aus 14 Kilometer zählt. Im Osten über dem Talschluss glitzert der Titlis. Die Kontraste könnten nicht enger liegen. Dort das Gewusel der vielen Besucher im Skigebiet, deren Stimmengefecht jedoch am Rande des Engstlensees schon schwächer wird und über den See dann fast ganz verhallt. Als der Titlis sein mächtiges Bollwerk noch unverkabelt zeigte, fungierte die Engstlenalp als wichtiger Stützpunkt. „Während der Belle Époque waren an die 20 Bergführer bei uns stationiert, die jeden Tag Gäste auf den Titlis brachten. Vom Hotel führte der kürzeste Weg hinauf“, so Immer. Selbst Bergführer, kennt er hier jeden Gipfel. Als Einsteigertour empfiehlt er uns den Grat am Graustock. Sie sei nicht zu lang, so dass man Mittags, bevor die warme Frühlingssonne den Schnee zu arg aufweicht, schon wieder zurück sein könne.Dass dieser Ort unverschandelt bleibt, dafür kämpft Fritz Immer, der mit seiner Familie in vierter Generation das historische Hotel Engstlenalp führt. Seit bald zwei Jahrzehnten stemmen sie sich gegen den geplanten Zusammenschluss der Skigebiete Titlis, Melchsee-Frutt und Hasliberg. „Unverbaute Oasen sind eine Rarität geworden“, sagt Immer. „Meine Gäste kommen wegen der stillen Natur.“ Sein Blick wandert Richtung Westen, dorthin, wo die Eisgipfel des Berner Oberlandes Parade stehen. Am markantesten sticht das Wetterhorn hervor. „Unbeschreiblichen Adel“ strahle es aus, stellte der Brite Tyndall fest.

Bei der Abfahrt vom Graustock und Fikenloch öffnet sich der traumhafte Blick ins Gental.

 

Es war Mitte April, die Hitze setzte schon ganz schön zu, doch noch immer kleideten dicke Schneepolster die Berge. Das Skigebiet von Melchsee-Frutt im Nordwesten liegt dann schon verlassen da. Noch lässt sich die Loipenspur der Tannalp ausmachen, doch kein Mensch weit und breit. Über weite, kuppierte Hänge steigen wir dem Graustock entgegen. Noch ahnungslos, dass die Skier über ein weit verzweigtes Höhlenlabyrinth gleiten. Erst ein rätselhaftes Loch am Fikengrat verrät das. Unheimlich waren solche Löcher den Altvorderen. Im Fikenloch hause der Teufel, flüsterten sie sich zu. Seinen Atem sieht man auch heute, wenn es klirrend kalt ist und Dampf aus der Höhle steigt. Seit dem ersten Erkundungsgang der Gebrüder Trüssel im Sommer 1976 konnten 200 Höhleneingänge und 64 Kilometer Höhlengänge vermessen werden. Sie liegen auf engstem Raum über mehreren Etagen – ein Geotop von nationaler Bedeutung. Auch überirdisch ein Naturjuwel. Adler kreisen über unseren Köpfen, ein Rudel Gämsen setzt Tupfer in den Sonnenhang beim Hengliboden. So heißt das Tälchen, dass vom Fikenloch zur Tannalp zieht und die Grenze zum Jagdbanngebiet Huetstock bildet. Mehrere Bartgeier hatte man die letzten Jahre dort ausgewildert. Als wir durch cremigen Firn der Engstlenalp entgegen schwingen pfeifen Murmeltiere. Ihre Paarungszeit haben sie bereits hinter sich. Aber die Vögel stecken noch mitten in der Balz. Zwei Bachstelzen liefern sich eine luftige Balgerei, bei der die Federn nur so fliegen. An die 50 Brutvogelarten bietet die Engstlenalp Quartier. Und im Engstlensee tummeln sich Forellen und Saiblinge. Den Grundstein legte Großvater Hans Immer. Er setzte kanadische Seeforellen aus. Ein weltoffener Mann, der, dank eines ausgewanderten Schwagers nach Finnland, als einer der Ersten zu Skiern kam, sich auf Skitour wagte, so 1892 zur Engstlenalp und ein Jahr später über den Jochpass nach Engelberg. Wohlgemerkt, damals gab es noch keine Felle!

Genussvolle Firnabfahrt vom Hiri, im Hintergrund türmen sich die Wendenstöcke.

 

Den Nachmittag genießen wir am See. Der Eisfischer ist wieder da. Die warme Sonne hat kleine Liegeinseln unter den Arven freigelegt. Weich und nach Arvennadeln duftend. Tannenhäher flöten von den Wipfeln. Ein tückischer Frieden, hinter dem die Expandierer und Bergbahner lauern. Bei ihnen zählen einzig Pistenkilometer und vermeintliche Logiernächte. Im Schaftal nördlich über dem Engstlensee, wo sich jetzt Gämsen tummeln, würden ein Lift surren, Beschneiungslanzen fauchen, Schneekanonen rotieren. Die Befürworter werden nicht müde zu betonen, alle hätten das Recht, schöne Natur zu genießen. Wie kann das sein? Wo doch jeder, der schon einmal den Titlis besucht hat, weiß: Mit der Masse verschwindet auch die Schönheit. Nicht zuletzt der Respekt vor der Natur.

Fritz und Marianne Immer vom Hotel Engstlenalp wollen die Unberührtheit der Natur und die Engstlenalp als Kraftort erhalten.

 

„Wir haben eine Verantwortung“, sagt Fritz Immer. „Wir können unseren Kindern nicht alles kaputt machen.“ Als hingen seine Worte über dem Kultstein, taucht eine Familie auf. Der Vater erklärt: „Hier könnt ihr euch mit Energie auftanken.“

Infos zu Skitouren rund um die Engstlenalp

1 Wendensattel (2776 m), vom Jochstock

ZS, 1h, 260 Hm

Route: Ab Engelberg über vier Lifte zum Jochstock. Von der Bergstation (ca. 2510 m) östlich um den Jochstock herum und südwestlich nur leicht ansteigend durch die ca. 35° steile Flanke des Reissend Nollen zum Jochgletscher queren. Über die offenen Nordwesthänge des Gletschers in den Sattel. Abfahrt nordwestwärts zum Engstlensee.

2 Hiri (2097 m)

L, 1h, 263 Hm

Route: Vom Hotel Engstlenalp südöstlich über die kleine Ebene zur Infotafel des Naturschutzgebiets. Hier gilt es, den Zonenplan genau anzuschauen, da der Aufstieg durch eine Wildruhezone führt. Deshalb muss man sich an den Korridor halten. Über eine Kuppe zum Westzipfel des Engstlensees. Nach Süden über den zugefrorenen See und bergwärts durch den Korridor zum Gipfel des Hiri. Abfahrt wie Aufstieg. Variante: Am Seeauslauf dem Alpweg nach Scharmat folgen, dann östlich auf den Hiri. Abfahrt über den Korridor nördlich zum See.

3 Graustock (2610 m)

WS, 2h30, 870 Hm

Route: Von der Engstlenalp nordnordöstlich über die steilen Weiden von Weng auf den vom Gwärtler herabziehenden Rücken. Zwischen Gwärtler und Graustock hindurch östlich zur SE-Schulter des Graustocks, die scharf ins Skigbiet Engelberg-Titlis abbricht. Achtung Wechten. Variante: kürzer und leichter zum Fikenloch (2400 m) am Kamm nordwestlich des Graustocks.

4 Rotsandnollen (2700 m)

ZS-, 4 h, 950 Hm

Route: Von der Engstlenalp nordnordöstlich auf den vom Gwärtler herabziehenden Rücken. Abfahrt zum Vogelbüel noch vor der Tannalp. Den Sonnenhang nord-, nordostwärts hinauf bis nahe der Felsmauer von Hohmad und Barglen. Durch das Tälchen Murmoltereneggen in die Mulde südlich unterm Barglen. Nun steiler auf den Grat bei Tannenrotisand (2536 m), den Sattel zwischen Barglen und Rotsandnollen, und über den breiten, oft verblasenen Rücken auf den Rotsandnollen. Abfahrt zur Tannalp und nahe dem Bachlauf rechts der Felsstufe südöstlich über Zilflucht ins Gental. Gegenanstieg entlang der Schneetöff-Spur zur Engstlenalp

Infos zur Anreise zur Engstlenalp

Am leichtesten lässt sich über die Skigebiete Melchsee-Frutt oder Engelberg-Titlis zur Engstlenalp vordringen. Das Skigebiet Melchsee-Frutt schließt bereits Anfang April, Das Skigebiet am Titlis bleibt bis Ende Mai offen und empfiehlt sich auch deshalb, weil man nur noch kurz zum Wendensattel aufsteigen muss, um eine spektakuläre Abfahrt zum Engstlensee genießen zu können. Bei ungünstigen Schneeverhältnissen kann man auf präparierter Piste vom Jochpass bis fast zum Engstlensee gelangen. Nahe seines Nordufers über den See gen Westen und flach in 30 Min. zur Engstlenalp. Der Zustieg durch das Gental, von Wagecher bis zur Engstlenalp, ist mit 11 km lang und abschnittsweise lawinengefährdet.

Karten

LK 1:50 000, Blatt 255 S Sustenpass sowie 245 S Stans.

LK 1:25 000, Blatt 1210 Innertkirchen sowie Blatt 1190 Melchtal

Literatur

Skitourenführer Zentralschweizer Voralpen und Alpen, Martin Maier, SAC Verlag, 2015.

Unterkunft

Hotel Engstlenalp, Tel. +41 33 975 11 61, www.engstlenalp.ch

 

Text & Fotos: Iris Kürschner