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Fritz Miller: „Ortler Nordwand solo – und ein paar Gedanken drum herum“

VAUDE Team-Mitglied Fritz Miller berichtet von seiner Begehung der Ortler Nordwand, der höchsten Eiswand der Ostalpen, und warum es sich lohnt auch mal Gas zu geben.

Hier sein Reisebericht: …

Der Ortler, im Südtiroler Vinschgau gelegen und mit 3905 m die höchste Erhebung von „ganz Tirol“, ist ein toller Berg. Seine Nordwand genießt einen besonderen Ruf, weil Sie sehr hoch (ca. 1200 m) und etwas gefährlich ist. Teile des Anstiegs sind von einem gewaltigen Serac (Hängegletscher) bedroht und wenn es warm wird, ist sicher auch Steinschlag zu erwarten. Aber es steht einem ja frei, bei tiefen Temperaturen zu gehen, und unter dem Serac muss man auch nicht zwingend trödeln…

Sulden, 10.12.2015. Es ist noch dunkel während ich meine Sachen für eine schnelle Begehung der Nordwand packe. Und es ist eisig kalt unten im Tal. Ich schnüre meine Stiefel, mache mich etwas warm. Langsam wird es hell. Punkt 7:30 starte ich am Hüttenparkplatz auf ca. 1855 m. Endlich. Durch einen schönen Lärchenwald, später dann über Schutt, führt der Weg hinein ins winterliche Hochgebirge. Allerdings gilt mein ganzer Fokus heute dem Ansteigen, dem Höhemeterfressen, dem Klettern, nicht der Schönheit der Bergwelt.

„Speedbergsteigen“ genießt kein allzu gutes Image in Bergsteigerkreisen. Denn klar, was eigentlich zählt ist das Erlebnis. Als Alpinist sollte man in gewissen Situationen, aber in der Lage sein Gas zu geben. Wenn dies klappt, erschließen sich nebenbei ganz neue Möglichkeiten, große Abenteuer zu erleben. Und wenn dann irgendwo am anderen Ende der Welt der nächste Sturm aufzieht, können Schnelligkeit und Effizienz lebensrettend sein. Dafür lohnt es sich zu trainieren, zu üben, zu perfektionieren und schließlich auszutesten, wie man so funktioniert, als Seilschaft oder auch allein. Heute ist bei mir mal wieder ein solcher Test an der Reihe…

Zurück zum Ortler: Nach einer knappen Stunde steilt das Gelände endlich auf. Die Atemwege schmerzen, die Beine sind schon etwas schwer. Ich gehe noch ein Stück über Lawinenkegel, schnalle dann die Steigeisen an und tausche bald darauf die Stöcke gegen Eisgeräte. Der Zustieg zur „Gurgel“, wo die eigentliche Eiskletterei beginnt, zieht sich. Aber irgendwann liegt auch dieser Abschnitt hinter mir und es fühlt sich gut an richtig zu klettern. Immer wieder reißt das kalte, spröde Eis mit einem unheimlichen Geräusch, wenn ich die Hauen einschlage. Wird schon halten… Ich komme ganz gut voran, die letzten Meter sind wieder flacher. Um 10:23 stehe ich oben. Wegen des eisigen Windes fällt die Gipfelrast eher kurz aus. Ich entscheide mich dafür, über die Wand ab zu klettern. Abseilen an Abalakov-Eissanduhren ginge natürlich auch, aber dafür bräuchte man ein Seil.

Mittags bin ich wieder zurück in Sulden, 4 Std. und 49 Min. nachdem ich am Morgen aufgebrochen war. 2100 Höhenmeter in Auf- und Abstieg liegen hinter mir. Keine Ahnung, ob das jetzt schnell war. Die einheimischen Raketen brauchen sicher nicht so lang und Ueli Steck, sowieso höchstens eine Stunde. Dafür konnte ich, für mich, einige wertvolle Erkenntnisse gewinnen und eine gewisse Portion Spannung war auch dabei. Und jetzt? Ich will mit diesem Text nicht zuletzt dazu anregen, die eigene Haltung zum Thema „Schnelligkeit und Effizienz am Berg“ zu hinterfragen. Schmerzt nicht ab und zu das Knie, weil der Rucksack viel zu schwer ist? Oder ist man längst nicht bei der Hütte, trotz Dunkelheit? Oder bildet sich in der Klettertour mal wieder ein Stau, hinter einem? Klettern und Bergsteigen sind es wert, sich ein paar solcher Gedanken zu machen, sich anzustrengen, sich zu verbessern. Nicht irgendwelcher Zeiten wegen, sondern um etwas Besonderes zu schaffen, um Abenteuer zu erleben und wieder heil nach Hause zu kommen.

Text: Fritz Miller

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