
Im Schatten des Watzmanns, tief im Berchtesgadner Land, schlummert ein 25 Jahre altes Projekt. Dies führt 30m zentral durch einen glatten Kalkpanzer mit einer Oberflächenstruktur, die Wasserwellen stark ähnelt. Die ersten 10m der Route sind ein Klassiker im unteren 10ten Grad. Dort endet der strukturierte Wandteil und geht in eine glatte, abweisende Oberfläche über. Die folgenden Passagen wirken zunächst unkletterbar! Aber in dieser Steilheit hängt es oft an ein paar wenigen, kleinen Felsstrukturen ob die geniale Linie kletterbar ist.

Das Puzzle setzt sich zusammen.
Genau diese Ungewissheit, ob die Linie kletterbar ist, lässt mich nach dem ersten Klettertag in der Route nicht mehr los. So folgten zeitnah mehrere Ausflüge in die unberührte Natur, um dieses Puzzle zusammen zu setzen. Es kristallisierten sich 3 Schlüsselstellen heraus. Die erste konnte ich gleich mit einem wackligen Knieklemmer soweit entschärfen, dass sie sich gut kletterbar anfühlte.

In der mittleren Schlüsselstelle versuchte ich zunächst ohne wirklichen Erfolg in einem Bogen auszuweichen. Wie so oft ruhte ich mich am Bohrhacken aus und entdeckte auf Augenhöhe einen Tritt. Ich dachte mir noch, wenn ich Andam Ondra hieße, würde ich die ganze Stelle einfach direkt über Haken klettern. Leider ist mir der Tritt viel zu hoch. Zum Glück entschloss ich mich diese Lösung zumindest zu testen. Und prompt, es fühlte sich kletterbar an!

An der letzten senkrechten Passage musste ich länger feilen, bis ich sie am Stück klettern konnte. Entweder rutschte ich von einem Tritt oder ich kippte aufgrund der nur angedeuteten Griffe einfach aus der Wand. Für den Kopf eine absolute Horrorsequenz auf Durchstieg.
Letztes Jahr fühlte sich die Route für mich im Ganzen noch nicht kletterbar an. Die zweite Schlüsselstelle war zu sehr am Limit. Zudem besitzt der Fels eine schmierige Oberfläche, so dass ich zu Beginn der 2 Schlüsselstelle butterweiche, rutschige Finger hatte. Zu dieser Zeit zog ich mir in meinem zweiten Sommerprojekt „Auf Messers Schneide“ einen Muskelfaserriss zu. So musste ich dieses Projekt für 2018 auf Eis legen.
Der perfekte „Flow“
Dieses Jahr benötigte ich nur zwei Tage und ich konnte die Route beinahe klettern. Wie so oft beim Klettern, spielte der Kopf in dem entscheidenden Zug nicht mit. Ich wollte die wackligen Züge zu sehr kontrollieren. In den Folgetagen war es dann wieder hochsommerlich heiß.
Nach dreiwöchiger Pause in der Route kam ich gestärkt vom Wiesnbier zurück an die Wand. Beim Bouldern in der Route gelang mir frustrierenderweise die zweite Schlüsselstelle nicht. Es hatte sich schon eine Herbstfeuchte auf die Wand gesetzt. 2 Stunden später kam ein Wind bedingt durch die Thermik auf. Nun hatte ich ein kurzes Zeitfenster mit besseren Verhältnissen bis die Sonne reinkam.
Wie ein Schweizeruhrwerk kletterte ich im vollen Fluss bis zur zweiten Schlüsselstelle.

Voll fokussiert, gänzlich im „Flow“, kletterte ich die Passage und realisierte dies erst bei der nächsten Expressschlinge. Nun meldete sich mein Kopf zum ersten Mal und schon gings mit zittrigen Beinen weiter. Die Ruhe war bis zum nächsten Schüttler weg. Dort sammelte ich mich, bis die Selbstsicherheit wieder zurückkehrte.
Der erste Schritt aus dem Schüttler in die glatte Wand lies diese Illusion platzen. Die Beine zitterten nach wie vor wie eine Nähmaschine auf den Reibungstritten. Zwei Züge weiter spürte ich, dass ein entscheidender Griff deutlich mehr Reibung hatte als beim Bouldern kurz davor. Dies war anscheinend genau das Signal, das ich brauchte. Das Schweizeruhrwerk lief wieder an. Ich tauchte wieder in den Tunnel ein und wachte erst beim Clippen des Umlenkers auf! Aufgrund der Felsbeschaffenheit und der wackligen Beine im Durchstieg hielt ich den Namen „Seegang“ 8c+ passend für diese Route.
Aus Vision wird Mission
Schon bevor ich zum ersten Mal Hand an die Route gelegt hatte, wollte ich eigentlich durch die ganze Wand! Das war die Linie! Nachdem der erste Schritt nun gelungen war, gab es keine Ausreden mehr, ich musste mir eine kletterbare Linie durch die restlichen 30m von diesen abweisenden Plattenpanzer suchen. Erst bohrte ich leicht rechts vom Stand zwei Haken rauf. „Shit, Sackgasse“ dachte ich mir. Hilft alles nichts, dann halt links rauf! Es endete auf die gleiche Weise. Aber der Wille eine kletterbare Linie zu finden war groß. Nach langer Millimeterarbeit klappte zu guter Letzt die rechte Variante! Jetzt gab es kein Halten mehr, die restlichen Bolts wurden versenkt! Die Mission ist klar!
Text und Bilder: Helmut Kotter
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