Als skifahrender Physiknerd sind mir beim Skitourentrip in Norwegen die Begriffe Raum und Zeit immer wieder in den Sinn gekommen. Beide Komponenten sind grundlegend für die weltbekannte Relativitätstheorie, die ich zugegeben immer noch nicht bis ins letzte Detail verstanden habe. Klar ist, dass sich Raum und Zeit in Nord-Norwegen gefühlt anders verhalten und sich mit ein bisschen physikalischer Phantasie das Norwegische Raum-Zeit-Kontinuum aufstellen lässt.
Komponente Raum:
Ich war zu Besuch bei Familie Jurtsnow, Freunde aus dem Allgäu, die in ihrer Jurte einige Monate in Nord-Norwegen verbrachten. Der Spot am einsamen Bergsfjord auf der Westseite der Insel Senja war einzigartig und wunderschön. Die Jurte misst einen Durchmesser von neun Meter und ist ein richtig gemütliches Zuhause. Der Raum ist rund und macht mit durchsichtiger Kuppel eine besondere Atmosphäre. Das Zusammenleben mit bis zu 11 Leuten wurde so organisiert, dass nachts der Boden als Schlafplatz diente und untertags gemeinsam gekocht, gegessen, gechillt, gelacht, geplant, Zähne geputzt, Rucksack gepackt, gelebt wurde. Manchmal Chaos und öfters ganz besonderes Jurtenleben auf engem Raum. Im Gegensatz dann die Skitouren auf die Gipfel und Lyretopps von Senja: Berge, Schnee, offener Ozean. Weitblick und Wildnis soweit das Auge reicht. Die Kombination aus beeindruckenden, felsigen Gipfeln und der Blick aufs Meer teilweise in drei Himmelsrichtungen ist für mich schon etwas ganz Besonderes. Dazu der Firnschnee, der sichere Verhältnisse und Abfahrten mit richtig viel Speed ermöglicht. Im offenen Gelände große, schnelle Turns ziehen macht unglaublich viel Spaß und lässt den weiten Raum auf eigene Weise spüren.
Komponente Zeit:
Jetzt kommt die Zeit ins Spiel. Oder auch nicht. Denn schon zu Beginn meines Besuchs wurde es nicht mehr dunkel. Ab 17.Mai ging die Sonne dann gar nicht mehr unter. Wann wir auf Skitour gingen, hing also im Gegensatz zu Frühjahrsskitouren in den Alpen nicht vom Wecker ab. Auch die Schneequalität ändert sich aufgrund fehlender Tageserwärmung bzw. fehlender Nacht nicht wirklich. Highlights waren auf jeden Fall die Skitouren mit Abfahrt gegen 10 Uhr abends, die in goldenes, warmes Licht getaucht waren oder die Touren mit vollem Magen vom ausgiebigem Frühstücksbrunch. Nach wenigen Tagen hatten alle Jurtenbesucher jegliches Zeitgefühl verloren. Bei schlechtem Wetter wurde eine Runde Karten spielen eingeschoben, bis sich hoffentlich die Wolken über der Insel verzogen hatten. Limitierender Zeitfaktor waren nur noch Einkaufen oder die Uhrzeit, wann das Boot zum Fischen gemietet war und wir unser Abendessen aus dem Fjord ziehen konnten.
Skitouren in Norwegen als Physiknachhilfestunde funktioniert also bestens. Beim nächsten Mal, wenn es um das Raum-Zeit-Kontinuum geht, denke ich an die Abfahrt vom Luttinden, eine markante Rinne mit Blick auf zwei Fjorde und freue mich über die erweiterte Vorstellung von Raum und Zeit auf der Insel Senja.
Wer mehr über das Leben in einer Jurte erfahren möchte oder über weitere Projekte der Crew, der kann hier auf Ihrer Homepage vorbeischauen.
Text: Johanna Bogner
Fotos: Johannes Heel, Philipp Kohler, Lukas Broell, Dennis Maucher, Johanna Bogner
Comments