Der Bettelwurf in den Tiroler Alpen ist weit mehr als die Summe seiner Schlüsselstellen, und die wären eigentlich schon genug für eine gute Bike Story bzw. Mountainbike Film.
Der Wanderweg von der Bettelwurfhütte schlängelt sich über Felsen und den typischen Karwendelschotter einen steilen Latschengürtel herunter ins Halltal. Die Ausgesetztheit ist in den Latschen erstaunlich gut verschleiert, die Steilheit der Felspassagen nicht. Für das Mountainbike fast eine Anmaßung. Im Sommer dörrt einem die stehende Hitze in dem Südwesthang die Kehle aus, Quellen gibt es keine, es ist etwas für den Herbst.
An der Juchezer Kehre ist beim Aufstieg zum ersten Mal die Berghütte zu sehen, die von dort nicht mehr weit erscheint, bei der Abfahrt zeigt der Trail ab hier seinen wahren Charakter. Es klingt bei uns auch weniger nach Juchezer, Konzentration und Anspannung sind auf ein maximales Level gestiegen, damit der Fokus auf die kommende Serie von Schlüsselstellen passt.
Der Abschnitt von hier bis in die Schotterreise haben wir die “Hölle” getauft. Nicht unbedingt mit negativer Assoziation von Qualen, vielleicht eher weil wir dort mit den Gedanken nicht mehr richtig auf der “Erde” sind, sondern versunken im Trail, in einer anderen Welt.
Im September 2020 war ich mit Martin, meinem Bikepartner für solche Geschichten, zum ersten Mal oben. Ich kannte den Weg von einer Wanderung, meiner einzigen ohne Bike in den letzten Jahren, ich hatte es dort auch nicht vermisst. Auf jeden Fall war Martin bei meinem Vorschlag sofort dabei, es sei der Lieblingsberg seines Opas und er war immer noch nicht oben gewesen. Jedes Jahr an Allerheiligen steht er mit der Familie an seinem Grab und blickt auf den Bettelwurf, für diesen Blick wurde der Ort des Grabes speziell ausgesucht. Jetzt wurde es Zeit für ihn, den Berg genauer anzuschauen, noch dazu mit Bike.
Es wurde ein stundenlanger Kampf im Schweiße unsere Angesichter, einige Meter mussten ausgelassen werden, aber die Euphorie war angezettelt. Auch wenn Martin sich auf dem, nicht sinnbildlichen letzten, sondern dem tatsächlich genau letzten Meter des Trails vor der Teerstraße sich die Bänder am Knöchel verletzte und daraufhin 4 Wochen ausfiel. Wobei sich ausgefallen nur das Biken bezog, er musste eben auf seiner Baustelle als Landschaftsgärtner in festen Bergstiefeln umher humpeln. Seine allererste Tour zurück am Bike war gemeinsam mit mir, gleich wieder am Bettelwurf. Und wir haben auf dem Trail gleich ein paar Meter mehr gutgemacht.
Daraufhin hatte ich die Idee mit dem Film. Wir mussten diesen Trail irgendwie filmen und einfangen, was hier alles mountainbike-technisch möglich war. Mit den Zwillingen, Philipp und Chris Kaar, hatte ich auch schon die richtigen gefunden, jung, enthusiastisch und vor allem ein Gespür für Geschichten in Kombination mit einer starken Bildsprache. Ich schrieb ein grobes Drehbuch, Einleitung mit der Geschichte des Opas, Dramaturgie der Schlüsselstellen und abschließende Nachbesprechung mit Bier am Lagerfeuer, 3-7 Minuten.
Es hat sich dann so ergeben, daß wir uns genau am 1. November an Allerheiligen morgens um 6 am kalten und dunklen Parkplatz im Halltal zum Drehtag getroffen haben. Die Kaar Zwillinge hatten die Crew verstärkt, ein Drohnenpilot für alle Fälle und Lugo, der Photograph. Die Bedingungen waren schlecht, im oberen Teil war noch viel Schnee zu sehen (schlecht für uns) und der Himmel blieb diffus und bleiern (schlecht für die Bilder). Auf der anderen Seite waren coronabedingt alle Grabtreffen tabu, es war also der einmalige Tag, daß Martin nun an Allerheiligen nicht vom Grab auf den Bettelwurf blicken würde, sondern umgekehrt. Das machte es umso spezieller.
Später im November wurde es fast wieder frühherbstlich, der Schnee schmolz dahin, die Sonne lachte. Wir sind den Trail noch zweimal bei bestem Wetter und Trockenheit gefahren und haben weitere Meter gutgemacht. Zum Filmen hätte das Licht jetzt nicht mehr gepasst. Die Szenen für die Einleitung wurden gedreht, und die Nachbesprechung am Feuer, die nun für Martin und mich absolut keinen Mehraufwand mehr bedeutete. Wir zündeten das Feuer an, machten ein Bier auf und ließen den Trail Revue passieren. Philipp und Chris hielten die Kameras drauf und das war es. Keine Wiederholung, keine Regieanweisung, keine Textvorlage, sie dokumentierten einfach unser Gespräch – übers Biken, unsere Touren, das Tourentagebuch des Opas, seine Fahrt nach Paris, letztendlich über die Transzendenz des Bikens.
An dem Punkt hatte sich der Film schon weit von meiner ursprünglichen Idee weiterentwickelt. Die Kaar Brüder tauchten förmlich in die Geschichte ein, vom Opa und der Bikefreundschaft von Martin und mir, die sich nirgendwo so intensiv manifestiert wie am Bettelwurf. So geriet die extreme Bikeaktion immer weiter aus dem Fokus des Films, während die Facetten der Geschichte drumherum in den Vordergrund rückten.
Es geht eben doch um weit mehr als um die Summe der befahrenen Schlüsselstellen am Bettelwurf.
Ergänzung (20.01.2022): Die Befahrung am Bettelwurf hat medial eine Debatte ausgelöst über die rechtliche Bedeutung und die Vorbildfunktion solcher speziellen Mountainbike-Aktionen. Wir möchten hier gerne unsere Sichtweise dazu schildern.
Ja, grundsätzlich sind die Veröffentlichungen von Bike-Aktionen, bzw. von Trails im alpinen Gelände, z.B. aufgrund der rechtlichen Situation, problematisch. Daher ist die Kritik erstmal durchaus verständlich und nachvollziehbar.
Die Vertrider befassen sich seit über 20 Jahren intensiv auch mit dieser Problematik und setzen sich für ein Miteinander am Trail und für eine Minimierung der Umweltschäden ein (nach deren Regeln: „Respektiere den Weg“, „Respektiere den Wanderer“, „Respektiere Dein Können“).
Diese Prinzipien haben sie auch beim Biken und Filmen am Bettelwurf befolgt (z.B. Außerhalb der Saison, Hütte war geschlossen, Gipfel im Schnee, also keine Wanderer). Grundsätzlich veröffentlichen sie ihre Aktionen auch eher selten, und wenn dann ohne Angabe der Location. Hier ist Lage etwas anders.
Dieser Weg ist durchgängig technisch so schwierig zu fahren, so maximal unbequem und hart zu erarbeiten, mit alpinen Gefahren, Steinschlag gefährdeten Einstieg – er ist das archetypische Gegenteil eines lässigen Biketrails, dass sie mit gutem Gewissen hier eine Ausnahme gemacht haben und dort gefilmt und die Location explizit benannt haben.
Die Veröffentlichung birgt aus unserer Sicht zumindest dort kein Konfliktpotential in Hinblick auf Nachahmer. Auch sind dort Wanderer selbst in der Hauptsaison nur relativ wenig unterwegs. Die wenigen Begegnungen mit Locals (Bergsportler, auch die Hüttenwirte, die teils durchaus MTB kritisch eingestellt sind) verliefen ausnahmslos respektvoll und positiv.
Bei ähnlichen Projekten in der Vergangenheit, bei denen die Vertrider ausnahmsweise die Location benannt haben, entstanden übrigens deren Erfahrung nach keine weiteren Probleme oder Konflikte. Diese Wege sind und bleiben ungeliebte Außenseiter in der Bike Community. Das Feedback der wenigen Nachahmer, alle gute Biker, war, dass die Wege zu speziell waren, um wirklich Freude zu bereiten.
Die Bettelwurf-Story ist als Festival-Film und für Vorträge konzipiert, wo der Zuschauer diesen Unterschied besser begreifen kann. Auch hier auf unserem Blog versuchen wir den entsprechenden Kontext herzustellen.
Dass gewisse Zeitungen die Geschichte selbstständig aufgenommen haben, wussten wir nicht und liegt auch nicht wirklich in unserem Interesse, bzw. im Interesse der Vertrider. Denn hierbei besteht die Gefahr, dass Kontext verloren geht, und dass auch die oft erhitzte (online) Diskussion ausgelagert wird.
Wir nehmen auf alle Fälle mit, dass solche Stories aus Bike-politischer Sicht kritisch zu sehen sind und dass wir sensibler damit umgehen werden.
Für einen weiteren konstruktiven Dialog sind wir und die Vertrider gerne offen.
Wir wünschen weiterhin viel Freude beim Mountainbiken.
Viele Grüße,
Team VAUDE und Axel Kreuter (Team Vertriders)
Mehr Vertriding gibt´s auf Instagram.
Die richtige Ausrüstung zum Mountainbiken gibt´s hier.
Comments