
2009 übergibt Albrecht von Dewitz die Geschäftsführung von VAUDE an seine Tochter Antje – 35 Jahre nach der Firmengründung als einer der Pioniere, der Outdoor-Branche. Gute Voraussetzungen, um entspannt die Füße hochzulegen und den Ruhestand zu genießen? Nicht für Albrecht von Dewitz. Er bleibt VAUDE weiterhin als Beiratsvorsitzender erhalten, ruft die „VAUDE Sport Albrecht von Dewitz Stiftung“ ins Leben und ist Geschäftsführer des Bergsport-Ausrüsters und Kletterseil-Pioniers Edelrid. Und er hat ein neues Unternehmen gegründet: in Vietnam.

2008 – noch vor der Geschäftsübergabe – hatte Albrecht von Dewitz mit VAUDE Vietnam die neue Rucksackproduktion in Vietnam gegründet. Er und sein Unternehmen VAUDE hatten zu diesem Zeitpunkt bereits einige Erfahrungen mit der Produktion in Asien gesammelt. Schon 1989 etablierte von Dewitz ein Büro für Beschaffung, Produktionskoordination und Qualitätskontrolle in Vietnam, zeitgleich begann – nach Stationen in Spanien und Südkorea – eine eigene Rucksack-Produktion in China. Doch Ende der Nuller-Jahre wiederholte sich in der Volksrepublik ein Prozess, den von Dewitz ähnlich bereits in Südkorea erlebt hatte. Die chinesische Volkswirtschaft machte eine gigantische Entwicklung und wurde zur Werkbank der Welt – auch und gerade im Hightech-Sektor. Geld, Fortschritt und Personal konzentrierten sich auf die lukrativere Tech-Branche, gleichzeitig zeigten sich viele Produktionsbetriebe den veränderten Erfordernissen in der High-Tech-Textilproduktion nicht gewachsen oder waren nicht willens oder in der Lage, die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Es war Zeit für eine Fortsetzung in einem anderen Produktionsland.
Die Anfänge der Rucksackproduktion in Asien
„Die Produktion von Rucksäcken in Deutschland war einfach zu teuer und auch die Ressourcen bzw. Kapazitäten für Mitarbeiter und Materialien sind nicht vorhanden. Das begann z. B. bei der Schwierigkeit, genug qualifizierte Mitarbeiter in der Fertigung zu finden – gerade beim Nähen – und endete bei den Lieferketten für Stoffe und Bauteile, die es in Deutschland kaum noch gab und gibt. Wir haben uns aber früh entschieden, die High-Tech-Fertigung wie das Hochfrequenzschweißen unserer wasserdichten Rucksäcke und Taschen in Deutschland zu belassen und auszubauen“, erinnert sich der Outdoor-Pionier.
Bei den Rucksäcken sei die Zeit einfach reif gewesen, einerseits um weniger von externen Partnern abhängig zu sein und in Anbetracht der nahenden Firmen-Übergabe an Tochter Antje auch persönlich den nächsten Schritt zu machen:
„Es war beides: eine strategische Entscheidung und die Suche nach einer neuen Herausforderung, die mich angetrieben haben, eine weitere Produktionsstätte in Asien aufzubauen“, erinnert sich von Dewitz.

VAUDE Vietnam fertigt für VAUDE Rucksäcke und Taschen.
Also kaufte der Outdoor-Pionier 2008 eine Fabrik in Bỉm Sơn im Nordosten von Vietnam. Das Land hatte sich aus vielen Gründen als idealer Standort herausgestellt. Von Dewitz kannte Vietnam gut. Lieferketten, Infrastruktur und qualifiziertes Personal für die Fertigung technisch hochwertiger Produkte waren vorhanden. Der langjährige Kollege, Wegbegleiter und ehemalige Produktionsleiter Hansjörg Egger, der bereits die Rucksack- und Taschenproduktion am Stammsitz in Obereisenbach mit aufgebaut hatte, war auch bei VAUDE Vietnam von Beginn an dabei. „Am Anfang gab es schon ein gewisses Entwicklungsdefizit vor Ort. Speziell bei der technischen Ausstattung und den Maschinen haben wir viel Erfahrung mitgebracht“, so von Dewitz.

Der Wissenstransfer findet heute in beide Richtungen statt. Bei den Maschinen und technischem Know-how von Deutschland nach Vietnam. Bei der Optimierung der einzelnen Schritte in der Produktionskette und der Stringenz der Abläufe entwickelt sich Vietnam so gut – nicht zuletzt durch die hohe Eigeninitiative der Menschen vor Ort –, dass es dem Standort Deutschland sogar in manchen Punkten voraus ist.

Die Mitarbeiter-Anzahl von VAUDE Vietnam in Bỉm Sơn wuchs stetig von einstmals 300 auf heute mehr als 1.000. Das liegt zum einen an der hohen Nachfrage – VAUDE Vietnam fertigt dort nicht nur Produkte für VAUDE und Edelrid in Deutschland, sondern auch für andere namhafte Sportartikelhersteller. Zum anderen ist VAUDE Vietnam auch ein besonderer Arbeitgeber. Das Unternehmen ist geregelten Sozial- und Umweltstandards verpflichtet. Das fängt bei A wie Auditierung an und endet bei Z wie Zahlung von Löhnen.
„Wir waren mit VAUDE einer der ersten Bluesign-Partner, dem weltweit strengsten Standard für Umwelt- und Verbraucherschutz in der Textilproduktion überhaupt.“
Auch VAUDE Vietnam arbeitet gemäß dem bluesign®-System. Dazu kommen Auditierungen durch den TÜV Süd, PP/PSA-Zertifizierungen für Sicherheitskriterien und unabhängige Kontrollen der Arbeitsbedingungen durch die renommierte Fair Wear Foundation.

Nicht umsonst macht sich Tochter Antje zum Thema Lieferkettengesetz stark, das die Anbieter des Endprodukts für die Einhaltung von Standards überall in der Lieferkette verantwortlich macht: „Mit einer eigenen Produktion habe ich viel mehr Kontrolle als über externe Partner“, erklärt Albrecht von Dewitz. Die volle Kontrolle über interne Abläufe hat für von Dewitz auch andere Vorteile gegenüber einer beauftragten Fabrikation: „Wir sind qualitativ und kapazitätsmäßig besser aufgestellt. Die Qualitätskontrolle wird einfacher, die Umsetzung direkter und – in Zeiten grassierender Lieferengpässe besonders wichtig – wir können schneller reagieren, die Engpässe umgehen, Slots umstellen.“

Gemeinsam feiern und sich gegenseitig unterstützen – eine Form der Wertschätzung gegenüber dem Land und den Mitarbeiter*innen.
All diese Maßnahmen sind nicht nur ethisch richtig, sie zahlen sich auch für das Unternehmen aus, wie von Dewitz berichtet. VAUDE Vietnam ist ein beliebter Arbeitgeber. Die Löhne sind im Landesvergleich überdurchschnittlich mit bis zu zwei Monatsgehältern als zusätzlichem Bonus am Jahresende. Natürlich gibt es auch Herausforderungen und Bereiche, in denen kontinuierlich an Verbesserungen gearbeitet werden muss. VAUDE Vietnam investiert viel in die Schulung und Weiterbildung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Das ist bei vietnamesischen Unternehmen eher unüblich“, erklärt von Dewitz und fügt hinzu „und wir feiern viel und gern, das ist VAUDE-typisch, aber hier in Vietnam auch eher selten. Unsere Mitarbeiter lieben es und beteiligen sich mit eigenen Ideen und Veranstaltungen.“

Insgesamt erfreut sich VAUDE Vietnam einer sehr homogenen Mitarbeiterschaft, die die hohe Wertschätzung durch das Unternehmen zurückgibt. Ein weiterer Grund ist das Engagement des Unternehmens im sozialen Bereich – nicht nur für die eigenen Arbeitnehmer*innen, sondern für das ganze Land.
„Als es vor kurzem eine große Flutkatastrophe gab und viele Familien alles verloren haben, haben wir Schulrucksäcke produziert und zusammen mit Schulmaterial, Schlafsäcken und Decken gespendet. Unsere Leute schätzen das sehr und beteiligen sich stark daran.“
Belohnt wird er als Inhaber mit einer geringen Fluktuation und hohen Planbarkeit – die ist beiderseitig: „Wir sind ein zuverlässiger, berechenbarer Arbeitgeber und unsere Mitarbeiter danken es uns durch Einsatz, Qualität und Vertrauen“, so von Dewitz.

Herausforderungen und Zukunftspläne der Produktion in Bỉm Sơn
Heute arbeitet VAUDE Vietnam in Bỉm Sơn an der absoluten Kapazitätsgrenze, ein nächster Erweiterungsschritt ist nicht möglich, da die Fläche des Geländes schlicht erschöpft ist. Gleichzeitig passiert in Vietnam zunehmend, was Südkorea und China bereits hinter sich haben – die Tech-Branche wird zum dominierenden Arbeitgeber, die Löhne steigen. Was ist also der nächste Schritt? Ist Automatisierung eine Option? Kommt die Fertigung sogar nach Europa zurück? Roboter spielen in den Zukunftsplanungen des VAUDE-Gründers derzeit zumindest keine Rolle. In der Rucksackfertigung selbst gebe es dafür aktuell kaum sinnvolle Einsatzmöglichkeiten: zu klein die Serien, zu hoch die Varianten an Farben und Kleinteilen und zu weich die Stoffe. Textilproduktion bleibt außerhalb der Fertigungsperipherie wie bei Materialfluss und -transport oder Zuschnitt weiter Handarbeit. Auch eine Rückkehr der Fertigung nach Deutschland bzw. Europa sieht von Dewitz nicht. Nicht nur wegen der Kosten. Es gebe hier die Ressourcen schlichtweg nicht mehr: Das Personal, die Lieferketten, die nötig sind, um zuverlässig eine große Textil- oder Rucksackproduktion zu bestreiten, befinden sind seit vielen Jahren in Asien.

Und wie geht es weiter? Eine Zukunft in Vietnam!
„Wir haben keine Pläne, aus Vietnam wegzugehen, wir wollen noch besser und moderner im Land produzieren.“
Um langfristig zukunftsfähig zu bleiben, hat der VAUDE-Gründer also schon eine neue Fläche gekauft. Acht Hektar Land erlauben nicht nur viele Erweiterungsschritte in der Zukunft, sondern auch mehr Raum für Gärten, Gemeinschaftsräume, Zeit für die Mitarbeiter, um etwas abzuschalten und viel Grün um die Fabrikation. Von Dewitz ist voller Vorfreude auf das nächste Kapitel. „Sobald Corona es erlaubt und ich wieder nach Vietnam kann, fangen wir an!“
Bilder: VAUDE & Archiv Albrecht von Dewitz
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