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Unvollkommen, vollkommen – Ohne Plan – Ohne Japan & Ohne Rad

Tübingen/München – So sitzen wir also auf einem der zahlreichen Hügeln in unserer Süddeutschen Heimat, die Maisonne steht hoch, die Sicht ist klar und wir lassen unsere Radreise mit dem Ziel Japan nochmals Revue passieren. Ungläubig schauen Nico und ich uns an – ist das alles wirklich passiert oder erwachen wir schweißgebadet aus diesem seltsamen Traum und lachen erleichtert auf? Gut 12 Monate vorher waren wir bekanntermaßen mit unserem Freund Felix und einer großen Portion Leichtigkeit und Abenteuerlust im Gepäck gestartet mit dem Fernziel: Japan. Die täglichen Nahziele definieren sich allerdings immer wieder neu, wer den Tag zu sehr verplant, gibt, unserer Meinung nach, seine Spontanität und den Blick für die kleinen Dinge im Leben, gerade bei einer Weltreise mit dem Fahrrad, auf. Wir waren also gespannt, was der Tag und das Leben auf der Piste alles für uns bereithält. Eines vorweg: wir wurden nie enttäuscht. Überrascht ja, enttäuscht nie – zumindest nicht die ersten 11 Monate! Wir hatten einfach keine Erwartungen, der Weg in einer gut verdaulichen und nachhaltigen Geschwindigkeit war das Ziel. Unser Motto „Ohne Plan Nach Japan“, hätte einfach nicht passender sein können – am Ende wurde unser Dogma gar zur Realität.

Die Reise

v.l.n.r.: Julian, Nico und Felix auf dem Marienplatz am Tag der Abreise.

Ende April 2019 zogen wir also voller Elan und Neugier hinaus und radelten, immer der treuen Donau entlang, quer durch den Balkan bis an die bulgarische Schwarzmeerküste. Spätestes mit dem Erreichen Istanbuls sagten wir Europa endgültig Auf Wiedersehen und Vorderasien mit seiner uralten Kultur und seinen herzlichen Bewohnern begrüßte uns herzlich. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft waren unglaublich, sodass wir das türkische Zuckerfest/Bayram hautnah miterlebten: Quasi im Minutentakt wurden wir in die Häuser gewinkt, die Zeit für einen Tee oder für ein Stück Zuckerkringel nahmen wir uns gerne, dabei lauschten wir den spannenden Geschichten der Menschen und diese den unseren. Diese Momente sind für uns die wahren Schätze im Leben.

So eine Reise ist wie ein 24- Stunden- Kinofilm: man weiß einfach nie, was der Tag so bringt, was hinter der nächsten Kurve oder dem nächsten Berg kommt. Natürlich stellt man sich bei tagelangem Gegenwind, Temperaturen jenseits der 40 Grad und endlosen Hügeln die Sinnfrage. Die Neugier trieb uns, wie ein innerer Motor, immer weiter und blies negative Gedanken schon im Ansatz wieder weit weg. Georgien und Aserbaidschan erschienen uns noch wie ein Freilichtmuseum aus einer vergessenen, sowjetisch angehauchten, Zeit. Im Iran wurde uns klar-jetzt sind wir mit unseren Rädern, Zelt und Gaskocher wirklich schon weit gekommen.

Kamele, endlose Wüsten, persische Baukunst und exotische Gerichte ließen uns eintauchen in die Tiefen einer unglaublich facettenreichen und uralten Kultur – uns war klar, hier beginnt das Abenteuer jetzt erst richtig. In Teheran entschied sich Felix leider aus persönlichen Gründen die gemeinsame Reise abzubrechen, er machte sich auf den Rückweg in die Heimat. Auch dies ist ein Teil von „ohne Plan nach Japan“, zeigt aber auch deutlich – du weißt nie, was kommt. Zahlreiche Polizeieskorten führten uns durch Pakistan bis an die indische Grenze- ein Meilenstein für uns auf dem Weg nach Japan. Geschlagene 3 Monate ging es quer durch ein wunderbar verrücktes Indien, 3 Monate mit Dauerdurchfall und bis zu 100 „Selfies“ am Tag. Die Menschen Indiens sind unglaublich neugierig und verrückt nach Fotos, wir waren wohl das Fotomotiv des Jahres 2019 in Indien.

Bananen geben uns Kraft und diese finden wir an jedem Obststand. Mit den Händen, Füßen und einem Lachen kommunizieren wir gerne mit den Einheimischen. (Indien)

In Thailand angekommen, hatten wir den kräftezehrenden Durchfall noch immer mit dabei und verordneten uns selbst eine 2 wöchige „Hängemattenpause“ – Ruhe, Palmen, Strand und Sonne, gepaart mit kristallklarem Wasser vertrieb schließlich auch den letzten Parasiten. Befreit von nervigen Darmbeschwerden ging es beschwingt durch Südostasien. Hier hatten wir allerdings die saisonale Regenzeit etwas falsch berechnet und kämpften fortan mit heftigen Regenfällen, diese begleiteten uns bis in den futuristischen Stadtstaat Singapur. Dort feierten wir nach 12.634 Kilometern und 242 Tagen im Sattel Weihnachten 2019. Den Jahreswechsel erlebten wir allerdings schon in Ozeanien: Neuseeland stand auf dem Programm. Über 2 Monate ging es kreuz und quer über die Süd- und Nordinsel des im pazifischen Ozean beheimateten Inselstaates. Am Ende hatten wir den südlichsten Punkt des Landes mit dem nördlichsten Punkt verbunden, unsere Ausrüstung, die Räder und wir kamen dabei an ihre Grenzen. Warum? Die Infrastruktur für Fahrradfahrer ist in Neuseeland doch noch stark ausbaufähig. Die Straßen waren sehr eng und die Autofahrer leider oft, sagen wir es liebevoll, mit uns überfordert. Zudem wollten täglich tausende von kleinen und großen Hügeln gemeistert werden. Zudem erlebten wir alle 4 Jahreszeiten mehrmals innerhalb weniger Stunden, Gott sei Dank waren wir mit funktionalen Klamotten aus dem Hause Vaude bestens ausgestattet. Eine atemberaubende Natur entschädigte allerdings für jegliche Strapazen – unser Equipment und die Räder meisterten jedes Terrain mit Bravour.

Mittagspause ohne Hängematte? Vorstellbar, aber mit Hängematte ist die Siesta einfach schöner und bequemer. Die Hängematte ist unser absoluter Luxusgegenstand im Gepäck.

Das (vorläufige) Ende

Nach Neuseeland waren wir bereit für Palmen, Strand und neue Abenteuer in unserem Reiseland Nr. 19. Ein kräftiges „Bula“ (Hallo), Fidschi! Die Räder hatten wir sicher in Neuseeland untergestellt, die Muskeln sehnten sich nach einer Pause und unsere Freundinnen kamen uns besuchen.

Julian. Ohne Spass funktioniert die schönste Reise nicht. Wohin geht es wohl nach Neuseeland? Der Coronavirus hat die Welt im Würgegriff. Wir entscheiden uns gegen eine zweite Asientour, uns zieht es in die USA. Dort wollen wir von der Ostküste an die Westlüste radeln und durch die Hintertür nach Japan gelangen

Wir unterzogen uns auf den Fidschi-Inseln einer kleinen „Digital- Detox -Kur“, nicht, weil wir ignorant sind oder uns die weltweite Ereignisse, wie die aktuelle Corona- Krise, nicht interessierten. Nein, der Grund ist ein viel einfacher: Wir hatten selten Storm und noch viel seltener einen Internetzugang. Häppchenweise drangen Informationen von anderen Reisenden zu uns durch. Just in der Zeit, in welcher wir in der Südsee abtauchen, sah es so aus, wie die Welt regelrecht im Corona- Wahnsinn erstickt. Die Welt erlebt(e) einen Shut- down der Superlative. Mit jeder neuen Information schien sich die Lage immer drastischer zuzuspitzen. Wir nahmen es tröpfchenweise wahr, ohne in Panik zu verfallen – was sollten wir auch tun? Wir entschieden uns abzuwarten und auf ein stabiles Internet zu setzen und nicht auf die Buschtrommeln.

Die Menschen auf den Fidschi-Inseln sind sehr herzlich und liebevoll. Es wird viel gesungen, getanzt und gelacht. Hier haben wir es mit ein paar „Wilden“ zu tun. Nico und Julian v.l.n.r.

Aber dann kam er, der erste große Schock für uns! Kalt, fies und unerwartet steht er erst nur als Gerücht im Raum und wird uns später live aus Neuseeland betätigt. Neuseeland hatte über Nacht die Grenzen zu gemacht, auf unbestimmte Zeit, für alle Ausländer! Die Räder waren auf Neuseeland gestrandet und von uns getrennt! Der absolute Supergau für Nico und mich, im Leben nicht hätten wir mit diesem Reiseverlauf gerechnet. Wie auch? Wer hätte überhaupt mit solch einer Pandemie gerechnet? Wir konnten also nicht mehr weiter mit unseren Rädern um die Welt ziehen. Langsam begriffen wir den Ernst der Lage – was für ein Schlamassel. Der Corona- Virus machte einen dicken Strich durch unsere Rechnung und trennte uns von den Rädern. Was jetzt?

Unser Motto “Without a plan to Japan“ erwachte zum Leben. Wir überlegten kurz, ohne Rad weiterzureisen. Die Räder waren schließlich sicher in Neuseeland abgestellt – und die Öffnung oder Lockerung der Einreisebestimmungen könnte Monate dauern.

Langsam köchelte auch die Stimmung, im vermeintlichen Inselparadies der Fidschi-Inseln hoch „Ihr Touristen seid doch Schuld, das der Coronavirus überhaupt den Weg zu uns gefunden hat“, sagte uns ein aufgebrachter Taxifahrer offen ins Gesicht. Auch hier begannen sich die Menschen langsam einzuigeln, Panikkäufe wurden getätigt, Geschäfte und Hotels auf Anweisung der Regierung geschlossen und der sonst so freundliche und entspannte Ton der Menschen wurde rauer.

Der vierte Tag auf dem Flughafen von Nadi begann wie jeder andere: wir wurden zwischen den Schaltern hin und her geschickt, vertröstet und mit immer denselben Floskeln abserviert. Inzwischen grüßten uns die Putzkräfte und Taxifahrer vor dem Flughafen mit Vornamen und Handschlag – man kennt uns. Unsere einzige Möglichkeit hieß Singapur. Wir waren wohl tatsächlich am Ende einer Sackgasse angekommen und die Räder mussten wir wohl oder übel in Neuseeland zurücklassen. Was für ein Alptraum!

Der letzte offizielle Flieger vom Inselstaat Fidschi nach Singapur ging in weniger als 90 Minuten. Uns war klar: diesen müssen wir erwischen, ansonsten werden wir hier in Quarantäne gehen müssen. Dann ging alles schnell, der Pulsschlag erhöhte sich in Sekundenschnelle bis in einen ungesunden Bereich. Wir buchten durch bis Frankfurt, die Kreditkarten glühten, mehrmals brach die Buchung ab. Hektik kam auf, 55 Minuten bevor der Flieger abhob, durften wir einchecken. Wir hatten keine andere Wahl, wir mussten zurück in die Heimat und die Räder zurücklassen.

Endstation Singapur. Später nimmt uns eine Sondermaschine mit nach Doha.

Im Flugzeug fiel zwar eine große Erleichterung von uns ab, schließlich hatten wir es aus eigener Kraft geschafft, dem Chaos vorerst zu entgegen. Auf der anderen Seite hatten wir schmerzhafte Scherben im Kopf. Wir konnten nicht weiter individuell nach Japan reisen, unsere Reise war auf Eis gelegt worden, höhere Mächte hatten sich entschieden. Wir kehrten zurück in die Heimat – ohne Plan, ohne Japan und ohne Räder. Aber in diesen Tagen gab es dramatischere Schicksalsschläge rund um den Planeten, wir wollen unser Leid auch nicht über das anderer Stellen – wir hatten 11 fantastische Monate auf und neben unseren Rädern in 19 farbenfrohen Ländern. Wir fuhren wie gegen eine Wand: von 100 auf 0. Mit diesem Ende hatten wir nicht rechen können, keiner von uns hat mit dem Virus rechnen können. Jede Flugminute fühlte sich irgendwie falsch an, Tränen flossen. Der Flug war unruhig, die Maschine wackelte, aber auch wir waren unruhig. Wir hatten in den letzten Monaten zig Berge, unzählige Hindernisse und andere Schwierigkeiten aus dem Weg räumen müssen und plötzlich wartete der größte mentale Berg auf uns – die plötzliche Heimkehr. Vor lauter Gedanken wurde uns ganz schwindelig. Klar freuten wir uns auf Freunde und Familie und vermutlich geht es uns während der Pandemie tatsächlich in der Heimat am Besten, aber es ging alles zu schnell. Das Herz und die Seele blieben auf der Strecke. Wir waren in einer hektischen Welt bewusst langsam und mit einem grünen „Reifenabdruck“ unterwegs, jetzt waren wir in wenigen Stunden wieder in Deutschland.

Nach unzähligen aufregenden Tagen an zahlreichen Flughäfen der Welt hatten wir es immerhin mit eigenen Mitteln wieder in die Heimat geschafft. Wir landeten nach 332 Reisetagen wieder sicher in der Heimat, was für ein furioses Finale. Unser Motto: „Ohne Plan nach Japan“ war tatsächlich zum Leben erwacht.

Nach 6 Tagen Rückreise sehen wir endlich die Skyline von Frankfurt am Main. Gleich sind wir zurück auf deutschem Boden.

Der Ausblick 

Wie es weitergeht, werden wir in diesen Tagen oft gefragt. Ein passable Antwort fällt uns bis heute nicht ein und eine Prognose ist schwierig. Sagen wir es mal so: der Weg ist bekanntermaßen das Ziel. Natürlich wären wir gerne nach Japan gekommen und waren auch sehr zuversichtlich unser Zielland zu erreichen. Die Olympiade ist auf 2021 verschoben worden, ob wir uns aber tatsächlich nochmal auf den Weg machen, steht in den Sternen. Momentan sind wir dabei uns wieder ins System zu integrieren. Job, Wohnung, Versicherung etc. müssen neu organisiert werden. In diesem Fall geht es leider nicht ohne Plan weiter. Wäre eine Fortsetzung der Reise im Frühjahr 2021 tatsächlich noch dieselbe Reise? Könnten wir nahtlos anknüpfen? Viele Fragen hüpfen uns durch den Kopf. Wir erinnern uns an die fantastische Zeit vor der Pandemie. Das Ende kam abrupt, ist aber dennoch ein Teil der Reise. Manchmal muss man eben auch akzeptieren und sein Schicksal annehmen.

Wir sind also angekommen, ohne Plan, ohne Japan und ohne Rad – irgendwie aber auch unvollkommen vollkommen.

Julian und Nico v.l.n.r auf einer Nebenstraße im Iran

Für uns ist und bleibt das Fahrrad das schönste, beste und effektivste Fortbewegungsmittel. Die Nase in der Sonne und das Haar im Wind- für uns Freiheit pur. Momentan arbeiten wir an einem Filmprojekt zu unserer Reise – auf unserem Instagram- und Facebook-Kanal „Pasta Gorillas“ gibt es die neuesten Informationen.

Danke Vaude, dass wir mit eure Kleidung – mit eurem Equipment die Welt mit all ihren Facetten erleben durften – es war uns eine Ehre. Neue Abenteuer warten – zusammen schaffen wir alles!

Eure Pasta – Gorillas,
Julian und Nico

Bildergalerie:

Text und Bilder: Pasta Gorillas

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