
Am 1. Juli 2019 begaben sich meine Frau und ich mit etwa 20 kg Gepäck, das aus zwei Packtaschen, einer Lenkertasche, einer Gepäckträgertasche sowie ein wenig Werkzeug auf den für uns dritten und letzten Abschnitt des Europaradwegs R1 von Elblag (PL) bis Helsinki (FIN).

Diese Radreise stellte für uns die Fortsetzung unseres großen Projekts „Europaradweg R1“ von Boulogne-sur-Mer an der französischen Atlantikküste über Brügge, Rotterdam, Münster und Berlin bis Elblag (2014 und 2015) dar. Der dritte Abschnitt durch Kaliningrad, Litauen, Lettland, Estland, Russland und Finnland ergibt dann die Vollendung des über 4.500 km langen Fernradweges durch insgesamt elf Länder und drei Zeitzonen unter dem Motto „Lebe Deinen Traum“.
Für diese verbleibende planmäßig knapp 2.100 km lange Etappe hatten wir uns genau fünf Wochen Urlaub von „Tür zu Tür“ genommen. Die zunächst zweitägige Anreise bis zum Ausgangspunkt unseres Radabenteuers durch Nordost-Europa erfolgte mit dem Zug mit einer Zwischenübernachtung in Berlin. Da wir am Ende der Strecke nach dem Erreichen Helsinkis mit der Fähre nach Travemünde und von dort wiederum mit dem Zug weiter nach Friedrichshafen zurückkehren wollten, ergab der späteste Zeitpunkt der Ankunft in Finnlands Hauptstadt quasi die maximale Fahrtdauer. Es blieben somit vier Wochen und zwei Tage, die wir mit Radeln, Sightseeing und Relaxen durch die sechs Staaten verbringen konnten.

Die Reise führte uns zunächst nach Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg und heutiger russischer Exklave. Schon bald erreichten wir die Kurische Nehrung mit ihrer großen Dünenlandschaft. Wir folgten dem R1 weiter nach Litauen, wo wir neben perfekten Radwegen auch eine sehr gute Ausschilderung des R1 vorfanden und erreichten dann Klaipeda. Schon bald kamen wir nach Lettland, wo wir überwiegend entlang der Ostseeküste radelten. Im Weiteren erreichten wir zum Sightseeing die lettische Hauptstadt Riga.
In Estland angekommen, führte uns der R1 dann zunächst durch die bezaubernde sogenannte „estnische Schweiz“, die ihren Namen wegen der sehr hügeligen Landschaft absolut nicht zu Unrecht trägt. Wir folgten der unbeschilderten Radroute des R1 an die Ufer des riesigen Peipussee, der etwa siebenmal so groß ist wie der Bodensee und als fünftgrößter See Europas zählt.

Bei Narwa, im Nordosten Estlands, nahmen wir den Grenzübergang nach Russland und nutzen somit unser 30-tägiges Doppelvisum erneut. Nach zwei Tagesetappen erreichten wir dann zunächst Peterhof mit der ehemaligen Zarenresidenz. Wegen des extrem starken Verkehrs am Nachmittag nahmen wir für die 30 km stadteinwärts nach St. Petersburg den Zug und erkundeten dort einen Tag lang die Hauptsehenswürdigkeiten. Ganz sicher war dieser eine Tag in dieser wundervollen Stadt lediglich ein Kompromiss während unserer Radreise, da sich ein längerer Aufenthalt ohne Zweifel gelohnt hätte.

Das Lahkta Center in der einstigen Zarenstadt, welches mit seinen 462 m Höhe das höchste Gebäude Europas darstellt, war für uns gleichzeitig der östlichste Punkt auf dem R1 und wir fahren von nun an weiter auf der Nordseite des Finnischen Meerbusens. Ab Wyborg bewegten wir uns dann auf die russisch-finnische Grenze zu und erreichten dann schon bald Finnland, das elfte und letzte Land auf dem Weg des R1. Hier führt uns dieser schon gleich achterbahnartig durch die typisch finnische Landschaft mit seinen unzähligen Hügeln. Die Städte Kotka, Loviisa und Porvoo reihten sich dann ähnlich einer Perlenkette an unseren Weg und wir erreichten am 30. Juli überglücklich und vor allem planmäßig Helsinki, wo wir uns dann noch ein weiterer Tag zur Stadtbesichtigung blieb.

Am 1. August verließen wir dann mit der FINNSTAR die finnische Hauptstadt. Während der dann kommenden 29 Stunden Überfahrt konnten wir unsere große Radreise auf dem R1 der vergangenen gut vier Wochen bei herrlichstem Sonnenschein auf Deck noch einmal an uns in Gedanken vorbeiziehen lassen.
Zur Logistik dieser Reise:
Bis auf die Anreiseübernachtungen in Berlin und Elblag hatten wir wegen der Ferienzeit ein paar Hotels in Kaliningrad und Litauen an der Ostseeküste vorgebucht, ebenso das Hotel der Zwischenübernachtung in Lübeck. Ansonsten hatte ich mir bei der Reisevorbereitung zu Hause, bei der ich auch die ungefähren Etappen (=Fahrplan) festlegte, ein paar Hotels als Favoriten abgespeichert. Diese wurden dann von unterwegs immer ein bis zwei Tage im Voraus, quasi auf Sicht, endgültig gebucht. Das gab uns für eventuelle Zwischenfälle wie Schlechtwetter oder Pannen ein wenig Flexibilität.
Die Reise verlief im Wesentlichen ohne Pannen: Dank des Reifens Schwalbe Marathon Plus Tour hatten wir keine Platten auf der Strecke. Auf den letzten 200 km hatte meine Frau an ihrer Radfelge einen kleinen Riss bzw. Seitenschlag zu beklagen, der durch einen harten Schlag entstanden sein musste. Durch ein wenig Luftablassen aus dem Reifen und langsameres Fahren, konnten wir dann dennoch ohne Ausfall unser Ziel nach 2.350 tatsächlich gefahrenen Kilometern und rund 11.000 Höhenmetern in Helsinki glücklich und zufrieden erreichen.
Wir haben es geschafft: wir haben den kompletten Europaradweg R1 von der Atlantikküste in Frankreich bis Helsinki mit seinen über 4.500 km be- und erfahren und unzählige wunderschöne Landschaften und nette Kontakte mit den Menschen Europas gehabt. Bei diesem nachhaltigen Reisen haben wir uns irgendwie stets als Botschafter des europäischen Gedankens gefühlt. Und das alles – bis auf 30 km in St. Petersburg – mit eigener Muskelkraft und ohne Elektromotor.
Text und Fotos: Frank und Uschi Kulke
Bildergalerie:
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