Hört man vom Mountainbike-Sport in Kanada denken die allermeisten Radbegeisterten vermutlich unweigerlich an kanadische Kultfahrradmarken, British Columbia und das vermeintliche Mekka des Mountainbikens – Whistler. Ob sich aber auch die im äußersten Osten des Landes gelegene Insel Neufundland für Mountainbike-Touren eignet, habe ich vergangenen September versucht herauszufinden…
Angeblich war vor über tausend Jahren der Wikinger Leif Eriksson der erste Europäer, der die Insel Neufundland betreten hat. Vermutlich segelte er von Europa über Grönland weiter Richtung Westen, ehe er
eine Insel mit großem Lachsvorkommen, Bauholz, Beeren und Weideflächen entdeckte, die ihn veranlassten eine Siedlung zu errichten. Die Wikingersiedlung L’Anse aux Meadows im Norden Neufundlands zeugt auch heute noch davon.
Nach den Wikingern dauerte es fünfhundert Jahre, bevor die nächsten Europäer nachweislich den Weg auf die kanadische Insel fanden. Der italienische Seemann Giovanni Caboto erreichte Cape Bonavista und zeichnet sich auch für die Namensgebung verantwortlich – „newe founde islande“ vermerkte er in seinem Tagebuch.
Heutzutage ist es glücklicherweise deutlich einfacher die raue Atlantikinsel zu erreichen – auch von Europa aus. Befindet man sich in Neufundlands Hauptstadt St. John’s, ist man der europäischen Küste sogar näher, als der kanadischen Westküste. So ist – wie wohl für die meisten Besucherinnen und Besucher der Insel – auch für uns St. John’s der Ausgangspunkt unserer Reise. Die um einen Naturhafen entstandene Stadt mit ihren unzähligen bunten Häusern macht es einem leicht, sich sofort wohlzufühlen. Wir erkunden zunächst zu Fuß die Stadt, erklimmen den Signal Hill – einen prominenten Aussichtspunkt – und steigen hinab in die Bucht von Quidi Vidi. Die Befahrung der Pfade rund um St. John’s hebe ich mir für das Ende unserer Reise auf, aber das geschulte, trailgierige Auge erkennt schon reichlich Potential.
Wir machen uns zunächst auf in Richtung Westen und erreichen nach zwei Tagen Twillingate, eine Halbinsel im Norden Neufundlands. Bei bestem Wetter unternehme ich die erste Radtour, die sich auf Pfade entlang der felsigen Küste beschränkt. Wanderführer und Kartenmaterial sind selbst vor Ort schwer zu finden, Touren sind kaum beschrieben und müssen oft mühsam gesucht werden. Der Schönheit der schroffen Küste tut das aber keinen Abbruch und wer bereit ist, denselben Weg für Aufstieg und Abfahrt zu nutzen, wird mit spektakulären Ausblicken belohnt.
In der Hoffnung auf ein dichteres Netz an Wanderwegen fahren wir weiter bis an die Westküste der Insel und schlagen unsere Zelte in Rocky Harbour auf. Das kleine Städtchen liegt im Herzen des Gros Morne National Park und ist Ausgangspunkt zahlreicher Touren. Ein Highlight des Parks ist der Gros Morne Mountain, mit 806 m Höhe der um 8 m auf Platz zwei der höchsten Berge Neufundlands verwiesene Gipfel im Zentrum des Parks. Trotz wechselhaftem Wetter ist der Gros Morne unser erklärtes Ziel. Wir fassen bei den Rangern des Parks eine skizzenhafte Karte aus und wandern wenig später durch dichten Nadelwald dem Talschluss entgegen. Immer wieder sind sumpfartige Abschnitte zu queren, die uns langsamer vorankommen lassen als geplant. Schließlich lichtet sich aber der Wald und gibt den Blick frei auf den Gipfelaufbau des Gros Morne. Mit den letzten Bäumen verschwindet zusehends der zuvor noch markante Weg und bald kraxeln wir steil bergauf über große Blöcke dem Gipfel entgegen.
Unsere Tour ist als Überschreitung geplant und ich hoffe stark auf einfacheres Gelände auf der anderen Seite – im Falle der mannshohen Felsblöcke muss sogar ich zugeben, dass ein Fahrrad das falsche Sportgerät ist. Endlich wird der Anstieg flacher und wir ersteigen das Gipfelplateau. Eisiger Wind pfeift uns um die Ohren, als wir den von frischem Schnee angezuckerten Gipfel erreichen.
Zum Verweilen lädt die Witterung nicht ein und ich starte rasch in die Abfahrt. Glücklicherweise ist der nordseitige Steig deutlich weniger schroff und lässt sich spielerisch mit dem Fahrrad bewältigen. Nach wenigen Minuten lichten sich sogar die zuvor noch dichten Wolken und geben den Blick frei auf den bekannten Western Brook Pond, einen Fjord, der aufgrund einer Hebung der Küste seine Verbindung zum Meer verloren hat.
Über einen Wiesenpfad setze ich die Abfahrt fort und traue wenig später meinen Augen nicht. Während sich über weite Strecken der Pfad nur erahnen lässt, steht plötzlich eine Holztreppe mitten in der Landschaft. Hunderte Stufen zu einer Treppe zusammengesetzt, um die Höhendifferenz eines Geländesprungs zu überbrücken – verrückte Kanadier. Ich überlege noch kurz wie kontrolliert eine Abfahrt auf den nassen Trittbrettern möglich ist und starte entschlossen – zu Fuß gegangen bin ich heute schon genug. Durchgeschüttelt spuckt mich die Treppe an ihrem Ende aus – zumindest spüre ich die klammen Finger nun wieder uneingeschränkt.
Eine weitere Station unserer Reise sind später noch Port Rexton und der malerische Ort Trinity. Wir machen uns auf, die kleine Halbinsel von Trinity auf dem Skerwink Trail zu erkunden. Angeblich zählt der schmale Küstenpfad zu den schönsten Wanderwegen Nordamerikas. Mit Superlativen bin ich lieber vorsichtig, aber wer nach Neufundland reist sollte diesen Trail tatsächlich nicht auslassen. In ständigem Auf und Ab schlängelt sich der Pfad entlang der steil abfallenden Küste. Flüssige Abschnitte stehen im ständigen Wechsel mit steilen und rutschigen Treppen – fahrtechnische Entspannung und knifflige Herausforderungen machen den Weg auch mit dem Bike zum Highlight.
Unsere Reise endet nach vier Wochen wieder in St. John’s. Auch auf der Avalon-Halbinsel rund um die Hauptstadt Neufundlands gibt es einiges zu entdecken. Der über 300 km lange East Coast Trail bietet unzählige Optionen, um die Region auf Küstenpfaden zu erkunden.
Außerdem lässt sich über besagten Wanderweg die malerische Quidi Vidi Bucht bei St. John’s erreichen, in der die gleichnamige Brauerei Bier aus dem Wasser von Eisbergen braut. Ein spektakulärer Singletrail, der direkt an der Brauerei endet – etwas Besseres lässt sich kaum finden!
Fotos: Alexandra Pistrol
Text und Athlet: Johannes Pistrol
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