
Es ist Ende Juli des vergangenen Jahres und der Wetterbericht prognostiziert stabiles Hochsommerwetter für die kommende Woche, heiße Tage, laue Nächte, der richtige Zeitpunkt für eine Nacht im Freien. Und da wir ja nahezu nie ohne unsere Mountainbikes in der Natur anzutreffen sind, ist natürlich von Anfang an klar, es wird ein Mountainbike Abenteuer mit alpinem Biwak werden. Es wird nicht die gemütlichste Nacht unseres Lebens werden, aber sie wird garantiert eine eindrucksvolle unter einem spektakulären Sternenhimmel. Und ich weiß jetzt schon, dass ich den schwer beladenen Rucksack in jeder Spitzkehre verfluchen werde.

Nachdem wir den Wochentag und einen Gipfel in den nordwestlichen Ausläufern der Stubaier Alpen für unser Biwak festgelegt haben, geht es an die konkrete Planung. Was nehmen wir alles an Ausrüstung mit? Wird der dünne dafür aber leichtere Schlafsack reichen? Welche kulinarischen Köstlichkeiten sollen uns das Sternschauen versüßen? Wann treffen wir uns am Zugbahnhof? Bei einer Tasse Kaffee schreibe ich mir am Vortag beim Frühstück meine Packliste und lese zwischendurch online die aktuellen Nachrichten, zuerst die aus aller Welt, dann die lokalen aus Tirol. Die Tageszeitung titelt „Bär zog Spur der Verwüstung: Überall lagen tote Tiere herum“. Auf den Almen in den Sellrainer Bergen sollen rund 20 Schafe gerissen oder in den Tod getrieben worden sein, als Übeltäter deute alles auf einen Bär hin. Und obwohl in der Pressemitteilung auch groß betont wird, dass keine unmittelbare Gefahr für Wanderinnen und Wanderer bestehe, habe ich plötzlich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Man soll sich an das offizielle Wegenetz halten und wer einen Bär sieht, soll durch lautes Reden auf sich aufmerksam machen. Das Liegenlassen von Lebensmitteln ist natürlich zu unterlassen. Das sind ja alles machbare Anweisungen, an die man sich untertags ja problemlos halten kann, aber wie ist das während der Nacht, wenn man friedselig in seinem Schlafsack ruht?
Gute Planung ist das halbe Biwak
Mein Kopf entzieht dem Bauchgefühl sofort das Mitspracherecht. Was soll schon sein?! Die Gefahr von einem wilden Tier angegriffen zu werden ist in den Alpen generell gering. Und nur weil ein Bär genau in dem Gebiet, in dem wir biwakieren wollen, auf Streifzug war, wird er sich wohl nicht mit zwei Powerfrauen wie wir es sind anlegen wollen. Wahrscheinlich ist er schon weitergezogen ins Ausserfern. Ausserdem sind Bären sehr scheu und ziehen sich fast immer zurück, wenn sie Menschen wittern. Mein Bauch meldet sich trotzdem leise zurück und ich informiere vorsichtshalber meine Biwak-Mitstreiterin über den Vorfall. Ein paar leicht nervöse Alles-ist-möglich WhatsApp-Nachrichten später steht fest, wir halten an unserem Plan fest, einzig auf die alpine Kulinarik, auf die wollen wir nun doch lieber verzichten und unser Abendbrot und Frühstück unterwegs auf der Alm einnehmen.

„Abendrot, Schönwetterbot“ – eine alte Bauernregel

Am nächsten Tag spätnachmittags starten wir von der Alm Richtung Gipfelbiwak, die steile Schotterstrasse lässt mich sofort bereuen, dass ich dort vorsorglich schon mal eine große Kaspressknödelsuppe verdrückt habe. Bis zum Grat kann man das Rad schieben, ab da muss man es schultern. Zusammen mit dem vollbeladenen Rucksack drückt es ganz ordentlich auf die Schultern und der volle Magen macht es auch nicht gerade leichter, Schritt für Schritt geht es Richtung Gipfel. Die Dämmerung ist schon ordentlich voran geschritten, zu lange haben wir die Pause auf der Alm in der Sonne genossen. Vor dem letzten Aufschwung finden wir im bereits schwächer werdenden Licht aber die perfekte Biwakstelle, auf der wir unsere Isomatten samt Schlafsäcken auf weichem Gras ausrollen können. Den Gipfel holen wir lieber als Early Bird am nächsten morgen nach, zu schön leuchtet gerade der Himmel in tiefstem Rot, im Inntal glitzern die Lichter der Dörfer, in der Ferne bimmeln die Kuhglocken. Es könnte nicht idyllischer, nicht friedlicher sein. Tief in unsere Schlafsäcke gekuschelt nippen wir an unserer Ration Rotwein, die wir uns dann doch trotz aller kulinarischen Vorsichtsmassnahmen gegönnt haben. Dabei lauschen wir immer wieder in die dunkle Nacht und bestätigen uns gegenseitig, dass eh alles in Ordnung ist, bevor wir wieder unser Gespräch über das Leben und die Welt aufnehmen. Nach Sternschnuppen halten wir vergeblich Ausschau, aber wahrscheinlich sind wir einfach nur vorher eingeschlafen.
Wenn Schafe reden könnten

Schon in der ersten Morgendämmerung sind wir munter, ein kurzer Blick in die Runde überzeugt mich, dass wir keinen Bärenbesuch hatten. Wir bleiben aber noch in den Schlafsäcken liegen und schlummern vor uns hin, bis sich die Sonne vollständig über die Bergkämme geschoben hat. Immer wieder bin ich erstaunt, dass Sonnenaufgänge stets aufs Neue Gänsehaut ins Herz zaubern. Wir kriechen aus unseren Schlafsäcken, bedauern kurz dass wir keinen Kaffee kochen können, bevor wir ein Depot für alle Sachen anlegen, die wir für den Gipfel nicht brauchen. Noch etwas starr von der Nacht schultern wir unsere Räder, der Rucksack ist nun um einiges leichter, allerdings wird dieser Vorteil durch unsere leeren Mägen wieder zunichte gemacht.

Kaum am Gipfelplateau angekommen, rennt eine aufgeregte Herde Schafe direkt auf uns zu, sie scharen sich um uns und blöken wild durcheinander, ganz so als würden sie uns erzählen wollen von den schaurigen Vorfällen der vergangenen Tage. Die Schafe folgen uns auf Schritt und Tritt, an Gipfelruh’ ist gar nicht zu denken, ausserdem meldet sich der Frühstückshunger nun schon recht kräftig und wir machen uns auf den Weg zurück zum Depot und dann weiter hinab zur Alm. Die Abfahrt über den ungemein aussichtsreichen Ostrücken mit herrlichen Inntalblicken ist ein absolutes Highlight. Mit Kaffee, Brettljause und Kaiserschmarrn stärken wir uns in den wärmenden Sonnenstrahlen auf der Alm für den Tag, der ja eigentlich erst so richtig anfängt.

Tage später sitze ich wieder beim Frühstück und lese online die aktuellen Nachrichten, zuerst die aus aller Welt, dann die lokalen aus Tirol. Die Tageszeitung titelt „DNA-Test: Wolf in Oberperfuss, Bär im Pitztal.“ Fast verschlucke ich mich an meinem Kaffee. Da war ja sprichwörtlich der Bär los in den Tiroler Bergen.
Hinweise zum Draußen Schlafen
Wetterbericht checken! Nur bei stabilen Bedingungen und ohne Niederschlag. Schlafplatz sollte eben und trocken sein. Diesen am nächsten Morgen im ursprünglichen Zustand verlassen. Keinen Müll liegen lassen. Auch keine Taschentücher.
Meine Biwak Ausrüstung:
– Leichte Isomatte
– Primaloft Schlafsack
– Leichte Mütze
– Leichte Funktionsunterwäsche
– Klein verpackbare Aftersport Jacke (Green Core We Cape)
– Stirnlampe
Text: Sylvia Leimgruber
Fotos: Andrea Kohlndorfer
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