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Der große Trip – Zu Fuß von Mexiko nach Kanada

Ich hatte noch nicht viele verrückte Ideen – aber wenn ich mal eine habe dann ist sie so richtig verrückt! „Mama, Papa – ich möchte von Mexiko nach Kanada laufen.“- Stille. Richtig verrückt trifft es, denke ich, ganz gut.

Nach meinem ersten Tag mit Rucksack, Wanderklamotten, Stöcken, Hut und ca. 20 gelaufenen Kilometern kann ich den bevorstehenden Muskelkater schon erahnen und frage mich, weder zum ersten und erst recht nicht zum letzten Mal auf meiner Reise, nach dem warum. Ein knappes halbes Jahr weit weg von zuhause, irgendwo im nirgendwo, mit Herausforderungen vor mir, an die ich noch nie im Leben gedacht hatte, bevor ich mich diesem Abenteuer stellte. Es ist wohl die Faszination der Wildnis, der Ruf der Herausforderung und die Suche nach dem Unbekannten, von dem ich mir erhoffe, es in der Nordamerikanischen Wildnis zu finden. Knapp 4.300 Kilometer durch den Westen der USA zu laufen erschien mir vor Beginn der Wanderung genauso unmöglich wie – Achtung, Spoiler Alarm! – am Ende, angekommen in Kanada. Doch die Zeit dazwischen war unglaublich. So unglaublich, dass es kaum in Worte zu fassen ist.

Ich wachte jeden Morgen mit Muskelkater, steifen Gelenken und müden Füßen auf.

Die ersten drei Wochen waren sehr hart. Direkt nach der Klausuren Phase zu starten bedeutete, dass ich erstmal ins Training kommen musste was meinem Körper einiges abverlangte. Ich wachte eigentlich jeden Morgen mit Muskelkater, steifen Gelenken und müden Füßen auf, packte mein ganzes Zeug zusammen, frühstückte und wurde erst nach ein paar gelaufenen Meilen locker. Neben der körperlichen Fitness waren auch die klimatischen Bedingungen und das gesamte Umfeld gewöhnungsbedürftig- obwohl ich recht früh in der Saison gestartet bin, war es in der Mojave Wüste ziemlich heiß und trocken, Schatten war selten und das Wasser aufgrund einer Dürre knapp. Doch der Süden Kaliforniens hat eine schwer greifbare Schönheit an sich, die die gefühlt endlosen Auf- und Abstiege doch immer wieder entlohnten. Man sagt so häufig, dass man auf seinem Weg nicht zurückblicken soll, doch das tat ich jedes Mal voller Freude, wenn ich in sengender Hitze wieder einen gefühlt endlosen Berg hinaufstieg und sehen konnte, wie weit ich doch schon gekommen war. Direkt am ersten Tag traf ich sogar auf das, wovon ich zuvor viel gelesen hatte, oft gewarnt wurde und einen unglaublichen Respekt hatte – Klapperschlangen. In die erste lief ich fast rein, da sie erst sehr spät anfing, warnend zu rasseln.

Nach der Wüste folgt das absolute Kontrastprogramm; die High Sierras, ein Hochgebirgszug in Zentral-Kalifornien, überraschte mich direkt an dem Tag, an dem ich aus dem Ort Kennedy Meadows lief, welcher als das Tor zu den Sierras gilt, mit einigen Zentimetern Neuschnee. Das Geräusch, wenn nachts der Schnee auf das Zeltdach rieselt, ist herrlich. Die nasskalten Füße, sobald man am nächsten Morgen in die gefrorenen Schuhe schlüpft und losläuft… eher nicht. Durch diverse Schneestürme legte ich im kleinen, beschaulichen Ort Lone Pine ein paar Tage Pause ein. Der Wechsel zwischen dem eiskalten Schneesturm in den Bergen und den unglaublich heißen Temperaturen im Tal wirkte fast surreal. Der Blick auf Mount Whitney, der mit 4.421 Metern der höchste Berg der USA außerhalb Alaskas, erinnerte mich an die Herausforderung, die vor mir lag: Forrester Pass, der höchste Punkt des gesamten Trails. Da ich früh im Jahr gestartet war, lag dementsprechend viel Schnee auf dem Pass, was mich verunsicherte. Schließlich stellte ich mich der Herausforderung gemeinsam mit zwei anderen Hikern, die ich entlang des Trails bereits relativ früh kennen gelernt hatte. Nach Forrester Pass folgten noch einige andere Pässe, die jeder für sich ein Abenteuer waren, mal härter, mal einfacher, aber immer in einer unglaublich schönen Kulisse aus Bergen, Schnee und vielen Seen.

Die Gemeinschaft auf dem Trail lässt einen durchhalten.

Wie auch der Trail hat man selber auf einem so langen Weg mental seine Höhen und Tiefen. Es gibt wunderbare Tage, in denen man sogar mehr Meilen läuft als gedacht, die tollsten Ausblicke bei herrlichem Wetter genießen kann und andere Hiker trifft, die durch ihre Geschichten und Erzählungen die Zeit verfliegen lassen und vom anstrengenden Anstieg ablenken. So war die Zeit in den High Sierras zwar sehr anspruchsvoll, kalt und nass aber auch überwältigend schön und eindrucksvoll, auf bis zu 4.000 Metern Höhe im Schnee. Diese Tage lernt man vor allem dann zu schätzen, wenn man bei Sturm, Hagel und Gewitter völlig durchnässt und erschöpft vom Kampf gegen den Wind verzweifelt darüber nachdenkt, wie man am Ende des Tages sein Zelt aufbauen und seine Kleidung einigermaßen trocken bekommen soll. Vor allem in solchen Momenten drängt sich die bereits erwähnte Frage nach dem warum ins Gedächtnis. Doch zwingen einen die Gegebenheiten, die auf einem solchen Trail herrschen, einen immer wieder, über sich hinaus zu wachsen. Da man sich inmitten der Wildnis befindet und irgendwelche schützenden Orte nur alle paar Tage erreicht werden, wird einem die Entscheidung, ob man weiter geht oder nicht, oft abgenommen. Es gibt nämlich keine andere Option als weiterzumachen. Und so wird man wieder und wieder aus seiner eigenen Komfortzone herausgeholt und findet heraus, wozu man eigentlich imstande ist.

Was einem immer hilft und eine unglaubliche Motivation darstellt, ist die Gemeinschaft auf dem Trail. Durch das gemeinsame Ziel vor Augen und einer ähnlichen Einstellung ist die Wahrscheinlichkeit extrem groß, Menschen zu begegnen mit denen man so eng zusammenwächst, dass man sie fast schon als Familie bezeichnen könnte. Auch die unglaubliche Hilfsbereitschaft fremder Menschen (Trail Angels wie man sie auf dem PCT nennt) hat mich immer wieder aufs Neue überwältigt und berührt. Eigentlich fremde Menschen, die einem ohne jeglichen Hintergedanken, ohne Erwartung einer Gegenleistung eine Fahrt anbieten, eine Dusche oder sogar einen Platz zum Schlafen, wenn man in einem Ort die Nacht verbringt.

Diese Gemeinschaft begleitete mich nach den High Sierras durch die Wälder und Wiesen Nordkaliforniens – wo ich auch endlich meine lang ersehnten, von anderen Hikern gefürchteten Bären zu sehen bekam -, durch den relativ flachen Staat Oregon bis hin zur Grenze zum letzten Staat auf meiner Wanderung, Washington. Nachdem Kalifornien mit einem Anteil von knapp 1.700 Meilen (2.736 km) nach einer gefühlten Ewigkeit hinter mir lag, flogen die letzten beiden Staaten nur so an mir vorbei. Tatsächlich fühlt es sich ab einem gewissen Punkt so an, als würde man nie aus Kalifornien herauskommen, was eine ziemlich hohe Abbruch-Quote in diesem Staat erklärt. Generell kommen längst nicht alle Wanderer, die sich vornehmen, die gesamte Strecke des Trails zu laufen, auch am anderen Ende des Trails an. Durch all die unsagbar schönen Aussichten, die man auf dem Trail genießen darf, die spiegelglatten Seen und die reißenden Wasserfälle hatte ich mich aber irgendwie an die Schönheit der USA gewöhnt und bewegte mich langsam vorwärts, einen Schritt vor den anderen, auf die kanadische Grenze zu. An besagter Grenze zu Washington, 500 Meilen (805km) von meinem Ziel entfernt, dachte ich, ich wäre nicht mehr so einfach zu beeindrucken. Und dann kamen Wasserfälle, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Tunnel Falls ist ein Wasserfall, hinter dem ein Tunnel durch den Felsen führt, sodass man hinter ihm herlaufen kann. Man steht direkt neben dem tosenden Wasserfall, um im nächsten Moment nur noch ein leises Rauschen davon zu hören. Sagenhaft! So hart es auf dem Trail manchmal sein kann, so unglaublich schön ist es dann eben auch, was irgendwie für all die Anstrengungen und Strapazen entschädigt.

Der letzte Abschnitt meiner Wanderung war ebenfalls ganz besonders. Nach dem flacheren Terrain in Oregon wurde es in Washington durch die Cascade Mountains von jetzt auf gleich wieder deutlich bergiger. Die schroffen, Schneegesprenkelten Felsen ragten aus dem Boden mit einer Linie daran zu erkennen, die sich stetig nach oben zog. Der Trail.

„Mama, Papa – ich habe es geschafft“.

Mein Trail. Mein Zuhause auf Zeit, meine persönliche, unbegrenzte Freiheit, mein Objekt der Wut, welches von mir in so mancher Situation auch wütend beschimpft wurde, obwohl ich mich selber freiwillig in diese Situation gebracht hatte. Mein Weg voller Erinnerungen und Erfahrungen, voller Menschen, die ich mir so wichtig geworden waren. Wie schon erwähnt – am Ende des Weges erschien es mir genauso unmöglich, diesen Trail zu laufen, von Mexiko nach Kanada, knapp 4.300 km durch die Wildnis, dass es einfach noch nicht zu Ende sein konnte.

Auch das war einer der Gründe, warum gegen Ende des Trails, nachdem ich es doch immer wieder geschafft hatte trotz aller Strapazen einen Fuß vor den anderen zu setzen, eine unglaubliche Melancholie über mich kam, die ich von mir überhaupt nicht kannte. Der Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach dem Ankommen, nach meiner Familie und meinen Freunden in Deutschland einerseits und dem Gefühl, all die wunderbaren Menschen irgendwie verlassen zu müssen, das Gefühl der absoluten Freiheit aufzugeben, das Leben in so unglaublich schöner Natur auf der anderen Seite. Es kommt einem einerseits vor wie eine Ewigkeit, andererseits fühlt es sich an, als sei man gerade erst gestartet. Es erschien einerseits wie eine Erlösung, es hinter sich zu bringen und zu wissen, dass man nicht mehr jeden Morgen aufstehen, essen und viele Stunden laufen würde, was einem nach gewisser Zeit einfach sinnlos vorkommt, andererseits schien der Gedanke, ins ganz normale Leben zurückzukehren genauso absurd.

Doch die Freude überwog in dem Moment, in dem ich am Monument ankam und wusste, dass ich es geschafft hatte, dass ich mich selber herausgefordert und übertroffen hatte und das Gefühl hatte, nach dieser Erfahrung wirklich alles schaffen zu können was vor mir lag.

Und mit diesem Wissen flog ich zurück nach Deutschland, mit diesem Gefühl, unglaublichen Erinnerungen, Fotos und Kontakten im Gepäck, die mir nie jemand nehmen können wird. Und den Moment, in dem ich stolz sagen konnte: „Mama, Papa – ich habe es geschafft“.

 

Bildergalerie:

Einen ausführlichen Reisebericht findest Du hier.

Zur Geschichte des Trails

Meine lange Reise führt mich durch den wilden Westen der USA, beginnend an der mexikanischen Grenze entlang des Pacific Crest Trails durch die Mojave Wüste, das Hochgebirge der High Sierras, über die Wiesen und Wälder Nordkaliforniens, durch die flache Landschaft Oregons und schließlich durch die Cascade Mountains bis zur Kanadischen Grenze. Der Weg ist ca. 4.280 Kilometer lang, wobei sich diese Angabe aufgrund von stetigen Veränderungen und Sperrungen von Teilstücken laufend verändert, führt durch 25 Nationalwälder(?) und 5 Nationalparks. Offiziell ist der Trail erst seit 1993 komplett fertiggestellt, die Idee entstand jedoch deutlich früher, die erste Dokumentation reicht in Jahr 1928 zurück. Im Jahr 1970 wurde der Trail zum ersten Mal über die komplette Länge „erwandert“, seitdem steigen die Zahlen an Wanderern jährlich, vor allem in den letzten Jahren hat der PCT sehr starken Zulauf erhalten. Jedoch schafft es nur ein kleiner Teil, den gesamten Weg zu laufen.

 

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