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Bikepacking – 10 gute Gründe für Slow-Travel mit Mehrwert

Mit dem Rad aus dem Ruhrgebiet zur Isle of Arran in Schottland zu fahren – das klang für mich nach einem tollen Plan und einem unvergesslichen Bikepacking-Abenteuer. Das war es auch! Doch wie so oft auf solchen Reisen kam der Punkt, wo es einfach nur noch weh tat. Ich konnte nicht mehr, ich wollte nicht mehr und ich stellte mir wieder einmal die Frage: „Warum?“. Antworten darauf gibt es viele.

1. Weil man Land und Leute kennenlernt

Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, dauert es nie lange, bis ich ins Gespräch komme. Und das, obwohl ich mich eher als verschlossenen Typ beschreiben würde. Mit dem voll beladenen Bikepacking-Rad fällt man eben auf. Und zwar positiv. Meistens.

Mitten durch die schöne Altstadt von Canterbury – mit dem Auto würde man auf der Fahrt nach London allenfalls das Hinweisschild auf der Autobahn sehen.

Die Menschen sehen es und finden es interessant. Sie interessieren sich dafür, wo man herkommt und wo man hinwill. Ich erzähle kurz meine Geschichte und bekomme im Gegenzug ein bisschen Respekt oder sogar ein paar nützliche Infos. Wie an dieser Tankstelle in Ponterwyd, irgendwo im Nirgendwo von Wales. Eigentlich war ich auf der Suche nach einem Supermarkt, denn ich saß bereits seit Stunden ohne Frühstück auf dem Rad. Der Trucker, den ich fragte, lachte nur und verwies mich auf diese Tankstelle mit der einzigen Einkaufsmöglichkeit weit und breit. Ich kaufte mir Milch, neues Wasser und ein paar walisische Plätzchen und machte es mir neben den Zapfsäulen bequem. Es dauerte nicht lange, bis ich von einem älteren Herrn begutachtet wurde, der mein Frühstücks-Arrangement so interessant fand, dass er mich ansprach. Er fand mein Reisekonzept toll und er verriet mir, dass ich in Sachen Wetter in den nächsten Tagen Glück hätte. Wir sprachen bestimmt fünf Minuten und es war schön, mal wieder ein paar Worte zu wechseln nach all der Einsamkeit in den Bergen.

Wenn man sich an der Tankstelle neben seinem Bikepacking-Rad zum Frühstück niederlässt, dauert es nicht lange, bis man von Einheimischen angesprochen wird.

Kaum, dass er weg war, winkte mir ein etwas jüngerer, langhaariger, schlaksiger Mann zu. Er war der Typ „Alt-Hippie“, merkte schnell, woher ich komme und führte das Gespräch sofort auf gut verständlichem Deutsch fort. Scheinbar hatte er in Portugal als Reiseführer gearbeitet und hatte auch eine Zeit lang in Deutschland gewohnt. Auch dieses Gespräch war wirklich nett und bescherte mir eine nützliche Information: Wild zu campen ist zwar in Wales nicht offiziell erlaubt, die Polizei hier drückt aber in der Regel beide Augen zu, solange man sich respektvoll verhält. Solche Infos bekommt man auch bei Google oder im Reiseführer. Aber so ist es doch viel schöner!

2. Weil man die perfekte Reisegeschwindigkeit hat

Im Auto fliegt alles nur an dir vorbei. Du atmest die trockene Luft aus der Klimaanlage und hörst den langweiligen Sound aus dem Radio. Im Flugzeug bist du noch viel mehr abgekapselt. Du steigst ein und erreichst wenig später dein Ziel – wie in einer Zeitkapsel – ohne unterwegs auch nur einen einzigen Eindruck vom Weg hierher wahrgenommen zu haben. Mit dem Fahrrad ist das anders. Mit jedem Atemzug und jeder Pedalumdrehung nimmst du deine Umgebung genau wahr. Du spürst die Hitze des deutschen Supersommers, die dir das Reisen erschwert und das stetige Bedürfnis nach Wasser weckt.

Immer so schnell, wie du willst. Und wenn dir entlang dem Kanal nach Antwerpen nach einer Pause ist, gönn’ sie dir einfach!

Du genießt die entspannte Fahrt am Kanal in Richtung Belgien, der gleichsam sehr schön und trotzdem eintönig und zermürbend ist. Du bist einfach nur geflashed, wenn du durch die welligen Hügel oberhalb der weißen Klippen von Dover rollst und sich vor dir der atemberaubende Blick aufs Meer öffnet. Du bist genervt vom unfassbar dichten Verkehr in London und genießt umso mehr die Abgeschiedenheit und Idylle, die dich im stetigen Auf und Ab von Wales begleitet.

Stress in the City – Wie könnte man den Verkehr und die Hektik in Englands Hauptstadt besser erfahren, als auf dem Rad?

Du bleibst einfach stehen und genießt die beeindruckende Aussicht oben auf dem Gospelpass und fährst erst weiter, wenn du genug Eindrücke gesammelt hast. Du fährst genauso schnell, wie du willst und wie du kannst. Und trotzdem bist du so in der Lage, beeindruckende Distanzen zu überwinden.

Dass die steile Fahrt zum Gospelpass so langsam ist, stört gar nicht. So hat man genug Zeit, die wunderschöne Landschaft von Wales zu bestaunen.

3. Weil man Mobilität zu schätzen lernt

Um mit dem Fahrrad auf große Reise zu gehen, bedarf es einiger Vorbereitung. Es ist mehr, als einfach zu tanken, den Motor zu starten und dann wie von selbst und ohne Anstrengung loszufahren. Du überlegst, was du mitnehmen kannst, was du wirklich brauchst und was vielleicht nur unnötiger Ballast ist. Vor allem aber verdienst du dir jeden einzelnen Meter der Fahrt selbst. Dein Körper ist die Maschine, die alles antreibt. Wenn du ankommst, hast du dir das selbst verdient und darauf kannst du stolz sein.

Wenn sich vor dir dieser Blick eröffnet, dann weißt du, dass du alles richtig gemacht hast.

4. Weil der Weg das Ziel ist

Wow. Dieser Campingplatz war ein Hauptgewinn. Ich stand mehr oder weniger alleine mit meinem knallgrünen Zelt auf dieser riesigen Wiese. Die Sonne ging unter und ich hatte freien Blick aufs Meer vor der Küste von Dover. Hier könnte ich es auch länger aushalten!

Der Kingsdown-Campingplatz war einer der vielen Hauptgewinne auf Martins Weg nach Schottland.

Wow. Dieser „Brecknock and Abergavenny Canal“ ist einfach toll. Es ist so ruhig hier, die Stimmung beinahe mystisch. Das Wasser ist absolut still. Alles, was ich höre, sind die Reifen auf dem festen Lehmboden, der entlang des historischen Kanalsystems im Süden von Wales führt. Regelmäßig muss ich abbremsen, um eine der vielen steinernen Brücken zu unterqueren, die fein säuberlich durchnummeriert sind. Ab und zu überhole ich einen alten Kahn, dessen Motor leise vor sich hin blubbert. Manchmal steht ein Schaf auf einer der Brücken und „määäht“ mir freundlich zu. Es ist toll hier und ich könnte mir durchaus vorstellen, in diesem Teil von Wales ein wenig länger zu verweilen.

Idylle pur am Brecknock and Abergavenny Canal.

Wow. Nach einem anstrengenden Tag auf dem Rad führt mich mein Track hoch zum Claerwen Reservoir. Um den riesigen Stausee herum verläuft ein astreiner Gravel-Trail und ich komme mir vor, als würde ich auf 2.000 Meter Höhe durch die Alpen rappeln, dabei sind es gerade mal 500. Um mich herum nichts weiter als hunderte von Schafen und diese Wahnsinns-Aussicht auf den riesigen Stausee, der vom Licht des Sonnenuntergangs in märchenhaften Glanz getüncht ist. Was für ein Ort – wie geschaffen, zum Verweilen!

Einfach wow! Der Gravelweg rund um das Claerwen Reservoir war eines der Highlights auf Martins Fahrt durch Wales.

Ich könnte noch lange so weitermachen. Und wahrscheinlich würde ich jetzt noch auf irgendeinem Felsen in den Bergen von Wales hocken und die Landschaft genießen. Doch neben all diesen fantastischen kleinen Zwischenzielen, hatte ich ein klares Reiseziel vor Augen: Schottland. Und darum ging es immer weiter.

5. Weil man der Natur viel näherkommt

Auf dem Fahrrad spüre ich das Leben. Und zwar in all seinen Facetten. Ich genieße das, auch wenn die Gegebenheiten meist nicht meinem Wohlfühlbereich entsprechen. Wind macht jedem Radler das Leben schwer. Wenn es zu regnen beginnt, kann man nur hoffen, dass es nicht lange andauert. Diese Hitze sorgt dafür, dass man schneller schwitzt, als man trinken kann. Eine Mückenplage kann die schönste Idylle zerstören. Umso schöner ist es, wenn mal alles passt. Die leichte Brise, die dich erfrischt. Der Rückenwind, der dich pusht. Die süßen Schafe, die dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern oder die dicke Kuh mitten auf der Straße, die dir eine kleine Pause schenkt. Es ist egal, was mich da draußen erwartet. Auf dem Fahrrad bin ich mittendrin und genieße es.

„Hallo, Frau Kuh. Lassen Sie mich bitte kurz vorbei?“

6. Weil man an seine Grenzen kommt

Ich bin irgendwo in Holland. Ich fahre durch eine Arbeitersiedlung benannt nach dem riesigen Zinkwerk, welches dem Ort sein schäbiges Äußeres aufzwingt. Über die gottverlassene Straße könnte auch so ein Heubüschel wuseln, wie im Wildwest-Film. Ich habe Durst, ich will nicht mehr und ich kann nicht mehr. Hin und wieder zischt ein Fluch über meine Lippen und ich hasse mich selber dafür, wieder so eine Idee gehabt zu haben. Ich brauche Wasser und zwar jetzt, sonst bekomme ich ein Problem.

Beim Bikepacking werden Grenzen wieder geradegerückt und es wird klar, was wirklich zählt. Manchmal ist es einfach nur ein Rohr, aus dem Wasser sprudelt.

Plötzlich sehe ich rechts ein weißes Rohr am Rande des Fahrradwegs stehen. Wie in einer Fata Morgana meint mein Hirn, darauf ein Schild mit den Worten „Drinkwater“ zu erkennen. Und obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass mein ausgedörrtes Oberstübchen mir einen Streich spielt, halte ich an. Und tatsächlich: Beim Druck auf einen Knopf sprudelt kaltes, klares Wasser aus diesem Rohr direkt in meinen Mund und in meine Flaschen. Es ist nur Wasser doch es ist eine Erlösung. Zum ersten Mal auf dieser Etappe bin ich richtig fertig, doch ich weiß, dass noch 100 Kilometer auf mich warten. 250 sind es am Ende des Tages. Die habe ich mir selbst verdient. Jeden einzelnen davon. Ich bin stolz, glücklich und zufrieden. Und hungrig. Alles, was es dafür gebraucht hat, heute vom Ruhrgebiet nach Antwerpen zu fahren, sind einige Flaschen Wasser, ein paar Riegel und diese große Pizza, die ich mir jetzt gönne. The simple life – das Leben kann so einfach sein. Die Reise auf dem Rad ist wie ein Neustart, der mich daran erinnert, was wirklich zählt.

7. Weil sich Hightech und Natur perfekt verstehen – ganz ohne Internet

Was macht der total gut vorbereitete Zivilisations-Bikepacker in unerwarteten Situationen? Er zückt sein Smartphone, um von ihm all die schönen Infos zu erlangen, die seine Pein beenden. Wo geht es zur nächsten Straße? Wo ist der nächste Supermarkt oder wenigstens eine Tanke? „Kein Netz“, ist die einzige Antwort, die ich hier oben bekomme. Siri hat es die Sprache verschlagen. Anfangs bin ich davon ein bisschen genervt. Bis ich es akzeptiere und endlich die völlige Ruhe genießen kann, die im Alltag völlig abhandengekommen ist. Das Internet ist etwas, auf das ich beim Bikepacking zwischendurch gern verzichten kann. Auf der anderen Seite gibt es viele Dinge, die so eine Tour vereinfachen und vielleicht sogar erst ermöglichen. Da ist mein GPS-Gerät, ohne dass ich zeitaufwändig immer wieder die Karte aus Papier aufklappen müsste. Da ist die Powerbank, die das GPS-Gerät und die Beleuchtung am Leben halten. Da ist mein Fahrrad, das so leicht, so komfortabel und so zuverlässig ist. Und da sind meine Bikepacking Taschen, die mein Gepäck schützen und beim Fahren – mal abgesehen vom Gewicht – in keiner Weise stören. Wenn ich so darüber nachdenke, ist das ganz schön viel Hightech. Doch es ist gute Technik, denn sie bringt mich lautlos in die Natur.

Lautloses Fortbewegen dank Hightech – Sowohl moderne Bikes als auch neues Bikepacking Zubehör tragen zu hohem Komfort beim Reisen per Rad bei.

8. Weil man die kleinen Dinge zu schätzen lernt

Ein tiefes „Mähhhh!“ holt mich aus meinen Träumen. Die Natur erwacht zum Leben und somit endet auch die himmlische Ruhe, die hier oben, irgendwo in den entlegensten Hügeln von Wales, über der Nacht lag. „Aua“ sagen meine Beine, die laktatgetränkt wie Betonklötze an meinem Unterkörper verankert sind und die sich nach „liegenbleiben und chillen“ anfühlen, nicht aber nach Radfahren. Doch es hilft nichts. So schön es auch ist, hier zu verweilen ist keine Option. Also mache ich mich auf den Weg und werde sogleich mit einer ordentlichen Portion Abenteuer belohnt.

The simple life ist, wenn man sich über solche Orte freuen kann.

Ein wunderschöner aber auch anstrengender Gravelweg eröffnet mein heutiges Abenteuer, das um ein Geräusch reicher ist: Zum Mähen der Schafe und dem Gerumpel des Schotters unter meinen Reifen gesellt sich das Knurren meines leeren Magens. Es ist so schön hier. Aber es ist verdammt einsam und ich komme mir ein wenig verloren vor. Dieses Gefühl hält für ein paar Stunden an. Bis plötzlich aus Gravel wieder Asphalt wird und ich in ein kleines Dorf rolle, das nur aus wenigen Häusern besteht. An der einzigen Kreuzung steht ein weißes Haus. Ein wenig heruntergekommen. Doch ich werde freundlich begrüßt. Von einer Sonnenblume, die mich mit ihrer knallgelben Blüte anlächelt. Direkt daneben steht eine Bank, die mich zu einer kleinen Pause einlädt und mir die Zeit schenkt, meinen Blick auf die alte Telefonzelle zu richten, die das kleine Arrangement hier vervollständigt. Sie ist längst außer Betrieb und wurde zu einer Art Gewächshaus umfunktioniert. Im Inneren wachsen Sonnenblumen, Tomaten und Kürbisse. Ein bisschen Erde, ein paar Samen. Es ist ein so einfacher und doch ein so schöner Ort, der meine Moral stärkt und mich nach wenigen Minuten Pause zum Weiterfahren motiviert.

9. Weil es einfach nur schön ist, anzukommen

So schön ein langer Tag im Sattel auch ist, irgendwann wird es meistens anstrengend. Der Hintern schmerzt, der Rücken zwickt. Ich habe dann oft keine Lust mehr. Manchmal werde ich dann ungeduldig und fange leise an zu fluchen, obgleich mir klar ist, dass mich sowieso niemand hört. Ich verdränge dann oft, dass ich mir diesen Weg selber ausgesucht habe und dass er eigentlich wunderschön ist. Wenn ich dann abends an meinem Ziel ankomme, ist das alles schlagartig vergessen. Wieder einmal habe ich es geschafft! Dieser Moment ist magisch und unbezahlbar.

Der magische Moment: Martin hat sein Ziel, die Isle of Arran in Schottland, erreicht.

10. Weil man etwas zu erzählen hat

Wäre ich mit dem Flugzeug nach Glasgow geflogen, hätte meine Reise zur Isle of Arran nur wenige Stunden gedauert. Ich hätte nichts von dem erlebt, was ich erlebt habe. Ich hätte nichts von dem gespürt, was ich gespürt habe. Ich hätte nur von den Dingen erzählen können, die man schon vorher im Reisekatalog nachlesen kann. Das wäre doch einfach nur schrecklich langweilig, oder etwa nicht?

Text und Bilder: Martin Donat

 

Bildergalerie:

 

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