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Bike 2 Boat – Eine klimaneutrale Reise mit Fahrrad und Kajak über die Alpen

Mit jeweils 90 Kilo im Gepäck begeben sich die Profi-Kajaker Olaf Obsommer, Jens Klatt, Adrian Mattern und Bren Orton auf eine abenteuerliche Radreise, um die schönsten Flüsse Tirols mit dem Wildwasserkajak befahren zu können.

4 Freunde, 3 Wochen Zeit, 2 Sportarten. Auf seinem Roadtrip mit Rad und Wildwasserkajak hörte Jens Klatt eine Frage immer wieder: »Was wollen Sie denn mit dem Kajak hier oben am Berg?«

Trotz der heftigen Strapazen kam der Spaß nie zu kurz! Photo: Jens Klatt

Auf einer Tour dieser Art hilft es Geschehnisse übertrieben optimistisch zu bewerten: 1) Die Mücken sind weg. 2) Nach der Hitze hat es sich abgekühlt. 3) Es gibt Zuschusswasser für unsere Paddeltour morgen, denn die Flüsse haben im Hochsommer ohnehin einen niedrigen Pegel. Die Realität versuche ich zu verdrängen: Es ist kurz nach Mitternacht, ich liege zusammengekauert im Schlafsack, Wasser läuft mir übers Gesicht wie beim Wildwasser paddeln. Das Gewitter zieht nun zum dritten Mal über uns hinweg, wie ein Trunkenbold wankt es von Talende zu Talende und erbricht seine Ergüsse über uns. Noch vor Stunden waren wir froh ein Überdach gefunden zu haben, nun wünschen wir uns Seitenwände, da der Regen wagerecht durchs Tal peitscht.

Uns kann gerade nichts schocken, wir ziehen unsere Wildwasserkajaks nun schon eineinhalb Wochen auf Anhängern hinter dem Fahrrad her: von Rosenheim am Kaisergebirge vorbei Richtung Großglockner, durchs Mölltal nach Osttirol und über den Staller Sattel nach Südtirol. Inklusive Fahrrad, Hänger, Kajak, Kocher und Klamotten manövriert jeder von uns etwa sein doppeltes Körpergewicht umher; mal bergauf, mal bergab, aber immer mit einem Ziel: dem nächsten Wildfluss. Zugegeben, es ist beschwerlich so zu reisen – logistisch und körperlich in etwa das Gegenteil zu einer Woche Malle ‚all inclusive‘ – aber eigentlich verbinden wir einfach zwei der großartigsten Fortbewegungsmittel, die die Menschheit erfunden hat: Paddeln und Rad fahren. Und nun sitzen wir vier Paddelkumpels in Südtirol unweit von Bruneck unter besagtem Vordach und ertragen unser Gewitterschicksal mit stoischer Ruhe – es war ja ohnehin recht schwül.

Nach den schweißtreibenden Anstiegen endlich die ersehnte Abkühlung! Photo: Jens Klatt

Nicht schlauer, aber hungrig

Am nächsten Morgen stehen die Wasserfälle des Reinbach auf dem Programm. Die Schlafsäcke trocknen im Sonnenschein, die Radschuhe lüften, wir sind voll in unserem Element und drehen Runden am Wasserfall. Eine Wasserfallbefahrung ist die heimliche Königsdisziplin im Wildwasser, fahrbare Wasserfälle sind im Alpenraum spärlich gesät, oft regeln Wasserkraftwerke ihren Durchfluss. Die Reinbachfälle machen es uns einfach, auf den Touristenpfaden können wir unsere Kajaks beliebig oft wieder hoch tragen und das Schauspiel wiederholen. Und dabei müssen dafür nicht mal unsere Räder bewegen!

Auch das Schleppen des Kajaks gehört beim Paddeln dazu. Photo: Jens Klatt

Bei einer normalen Flusstour lassen wir Räder und Gepäck am Einstieg und müssen nach dem Paddeln dorthin zurück: Laufen, joggen, trampen, Bus, Bahn, alles ist erlaubt. Danach fahren wir wieder zum Ausstieg des Flusses und holen die Boote ab – müssen somit die einmal gepaddelte Strecke zwei Mal absolvieren, bevor es zum nächsten Fluss geht.

Warum wir uns das Leben derart schwer machen und nicht einfach mit dem Auto unterwegs sind, hat verschiedene Gründe, dass wir durch unseren Benzin-Verzicht nicht den Klimawandel aufhalten, ist uns jedenfalls bewusst. Vielleicht sind unsinnige Sachen einfach am Schönsten: Mit dem Rad über die Alpen, mit dem Kajak einen Wasserfall befahren, dazwischen Kumpelhumor ohne geistigen Tiefgang.

Eine tiefe Zufriedenheit erfasst uns mit jeder Kalorie, die wir verbrennen. Und das sind nicht wenige: nach den Reinbach-Wasserfällen gehen wir einkaufen für den Abend und packen ein paar Kleinigkeiten für den kleinen Hunger mit in den Korb: 6 Eis, 2 Apfel-Plunder, 4 Dosen Heringe, 1 Pfund Mango-Joghurt, 2 Kärntner Hauswürste, 2 Radler, 2 Liter Apfelschorle werden direkt vernichtet, bevor wir später 1 kg Reis mit Tütensuppe verdrücken. Unser Appetit ist göttlich, unser Kalorienbedarf enorm.

Der enorm hohe Kalorienbedarf will gedeckt werden! Photo: Jens Klatt

Kochschinken und Sonnencreme

Am nächsten Morgen gleichen unsere Körper einem paar alten Semmeln, die drei Wochen in der Ecke lagen – jeder Muskel, jede Sehne ist krustig. Der tägliche Sport, und gerade die Wasserfälle, gehen auf die Knochen, und außer in Osttirol haben wir uns bisher keinen Ruhetag gegönnt. Es ist die Freiheit eines Roadtrips die uns treibt, Stillstand wird schwierig. Und trotz aller Anstrengung tragen wir ein Lächeln spazieren, diesen gelösten Gesichtsausdruck den man hat, wenn man länger unterwegs ist.

Später unter der Nachmittagssonne Südtirols ist das Lächeln verblasst, wir fühlen uns wie eingeschweißter Kochschinken auf Rädern. Es ist einer der heißesten Tage des Sommers, die Sonnencreme wird vom Schweiß auf den Asphalt gespült, außer dem Fahrtwind und gelegentlichen Wasserpausen gibt’s keine Abkühlung.

Wir folgen dem Pustertal-Radweg entlang der Rienz, und später dem Eisacktal-Radweg nach Bozen. Allerdings verlaufen die Radwege teils leicht bergab, wir kommen gut voran und machen trotz Gepäck gute 80 Kilometer Tagesstrecke.

Pizza und Gelati

»80.000 Euro!!!«. Der Typ, offenkundig Tourist aus Deutschland, brüllt mir ins Gesicht und deutet auf seinen polierten Mercedes. Okay, ich war nah dran, aber ich hab seine Karre ja nicht mal berührt.

Wir sind mittlerweile im Zentrum von Meran angekommen, um uns herum flüchten Touristen in Panik, ein Nachmittagsgewitter ist dabei loszulegen. Etwas hektisch hatte ich versucht einen trockenen Platz unter dem Vordach zu ergattern und bin dabei seinem Luxusmobil mit meinem Hänger ziemlich nah gekommen. Normalerweise würde ich zurück pampen, momentan spüre ich allerdings kein Bedürfnis an negativen Schwingungen und entschuldige mich zwei mal in Folge, woraufhin er weiter um sein Auto tippelt und in die Luft schimpft.

In den letzten 10 Tagen ist etwas passiert mit uns. Das Treten in die Pedale ist mentale Meditation, die körperliche Anstrengung serviert uns einen Dopamin-Serotonin Cocktail und i-tüpfelt die Zufriedenheit. Lackierte Karossen mit Prunksternen am Kühlergrill verlieren ihren Glanz; das Gefühl, seine sieben Sachen aus eigener Kraft durch die Gegend zu kutschieren, erfüllt uns lückenlos. Ein trockener Schlafplatz und vielleicht eine Dusche und der Tag ist perfekt.

Abgesehen vom Mercedes-Mann verzaubert Meran uns mit urbanem Südflair, Bergen und Palmen und rauschendem Wasser. Irgendwie passen wir mit unseren abgeranzten Klamotten und latentem Schweiß-Mief nicht hierher, aber das stört niemanden. Wir paddeln die Gilf-Schlucht der Passer inmitten der Stadt, mampfen feinste Pizza in Extragröße, garnieren diese mit zu vielen Kugeln Eis von der besten Gelateria am Platz und schütten Bier drauf, das die Mägen schmerzen. Zur endgültigen Erleuchtung, zum Absagen aller weltlicher Genüsse, müssen wir scheinbar noch ein bisschen in die Pedale treten.

Passo Rombo

Jeder Höhenmeter wird mühsam erstrampelt. Photo: Jens Klatt

Und so ist es wohl Bestimmung, dass zwischen uns und unserem nächsten Paddel-Ziel der 2474 Meter hohe Passo Rombo liegt, das Timmelsjoch. Über die Großglockner-Hochalpentraße waren wir auf die Südseite der Alpen gequert, nun machen wir uns auf den Weg gen Nordalpen ins Ötztal. Ein Blick auf die Karte macht klar, worauf wir uns eingelassen haben: Meran ist zwar umrundet von Bergen, liegt allerdings nur auf 300 Meter über dem Meeresspiegel. Macht etwa 2200 Höhenmeter Differenz, Zwischenanstiege der Straße, die wieder abgebaut werden, nicht eingerechnet. Wir wollen die Strecke an zwei Tagen schaffen und folgen am ersten Tag einem vielbefahrenen Schotterweg entlang der Passer. Sanfte Anstiege, Apfelbäume am Wegesrand, Touristen auf ihren E-Bikes – es herrscht Urlaubsstimmung im Tal.

Aber die grandiose Berglandschaft lässt für einen Moment die Anstrengungen vergessen. Photo: Jens Klatt

Am zweiten Tag verlassen wir das Bergdorf Moos früh am Morgen, Tagespensum laut App doch immerhin noch 1800 Höhenmeter aufs Timmelsjoch. Gleich auf dem ersten Kilometer steigt das Gefälle der Straße auf über 14 Prozent und testet unsere Leidensfähigkeit noch bevor das Frühstück richtig im Magen angekommen ist. Wir stemmen uns mit voller Wucht in die Pedale, doch die Anhänger ziehen unsere Räder stetig bergab: hört man auf zu treten, krampfen die Finger an den Bremshebeln, um nicht rückwärts zu Tale gezogen zu werden. Es ist ein zähes Spiel mit dem Kopf: treten und schwitzen, trinken und schnaufen, im Hinterkopf die nicht enden wollenden Höhenmeter zum Pass.

Unterwegs am Timmelsjoch. Photo: Jens Klatt

Gegen Mittag haben wir die Hälfte des Anstiegs geschafft, wir können uns Salami-Sticks mit Brot und einen frischen Mokka aus der mitgebrachten Kanne. Danach heißt es wieder kämpfen, inmitten der schroffen Bergwelt der Ötztaler Alpen zieht sich der Endanstieg in unzähligen Serpentinen bergauf. Das Grün wird karger, die Vegetation verschwindet bald gänzlich, Gletscher reflektieren die Nachmittagssonne in der Ferne, – nun ja, zumindest trocknet der Schweiß hier oben schneller.

Boot, Paddel, Trockenanzug, Zelt, Schlafsack, Verpflegung – alles muss im Hänger mit. Photo: Jens Klatt

»Chapeau, chapeau!« Der uns überholende Rennradler nicken anerkennend, Handys ragen aus den Autofenstern, um unsere Karawane zu fotografieren. Meine Kommunikationsfreudigkeit ist leider mittlerweile auf der Strecke geblieben. »Allez! Allez!!« tont es neben mir aus dem Auto, ganz aufgeregt winkt eine Frau mir zu und streckt den Daumen nach oben. Und ich? Starre einfach weiterhin auf meine Pedalen. L-i-n-k-s, r-e-c-h-t-s. Entschuldigen Sie werte Frau, ich bin grad mit meinem Anhängsel beschäftigt.

Auf die andere Seite

Der Wind surrt mir um die Ohren, die Sonne steht tief, die letztens Motorräder sind durch, Ruhe. Ich streife meine Windjacke über. Unsere Räder lehnen am Passo Rombo Schild, 2474 Meter.

Mein Kopf ist leer, die Gedanken liegen tot getreten auf der Straße. Es ist nicht mal eine große Freude die mich überkommt, vielleicht etwas Stolz, dass wir es geschafft haben, vielleicht auch Leere, da es vorbei ist. Der Dalai Lama könnte das sicher besser erklären, aber so ungefähr muss sich die Erleuchtung anfühlen, wenn man nach unzähligen Stunden tiefer Meditation erwacht und sagt: »Schön!«

»Entschuldigung, was wollen Sie denn mit dem Kajak hier oben am Berg?« Verdutzt über die Störung meiner Gedankenwelt durch einen älteren Herren zeige ich Richtung Sölden ins Ötztal hinab: »Na, auf die andere Seite«. Sein verschobener Blick sagt mir, das er meine Antwort nicht deuten kann. Dann lächelt er höflich. Ich lächle zurück. Er geht, ich bin froh.

»Na, dann.« Adrian zurrt sich am Helm und deutet bergab. »Jetzt knacken wir die 80 km/h-Marke!« Ich hatte ihm von der steilen Gerade mit dem langem Auslauf in der Talfahrt erzählt und eigentlich gemeint, das hier die Bremsen bergab nicht so heiß laufen wie auf einer Kurvenstrecke. Olaf schaltet sich ein: »Und morgen laufen wir hoch zum Hintereisferner und paddeln die Rofener Ache vom Gletscher weg. Sind nur 600 Höhenmeter von Zwieselstein!«. Er blickt mich grinsend an: »Oder brauchst du einen Pausentag?«

Würdet ihr das alles wieder machen? Auf jeden Fall! Photo: Jens Klatt

Mit Fahrrad und Kajak durch Norwegen? Hier geht´s zu Bike 2 Boat Norway

Oder quer durch die Alpen von Cannes bis Venedig? Hier geht´s zu Bike 2 Boat Alps

Weitere Infos auf https://bike2boat.eu/

Text und Fotos: Jens Klatt

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